Vorschlag für eine Altfahrzeugverordnung

Kompromisstext der belgischen Ratspräsidentschaft

Am 13. Juli 2023 hatte die Europäische Kommission den Vorschlag für eine neue Altfahrzeugverordnung  veröffentlicht (siehe Artikel im Europaspiegel Oktober 2023), die an die Stelle der aktuell geltenden Altfahrzeugrichtlinie treten soll. Die beteiligten Ausschüsse im Europäischen Parlament hatten infolge der wenigen verbleibenden Monate der abgelaufenen Legislaturperiode beschlossen, sich vorübergehend nicht mit diesem Dossier zu befassen. Hingegen hatte sich der Rat der EU während der belgischen Ratspräsidentschaft, die am 30. Juni endete, intensiv mit dem Kommissionsvorschlag auseinandergesetzt. So präsentierte die belgische Ratspräsidentschaft am 28. Juni einen Kompromisstext zur Übergabe und Weiterverfolgung durch die nachfolgende, noch bis Ende 2024 laufende ungarische Ratspräsidentschaft, der mehrere Änderungen zum Kommissionsvorschlag enthält.


Hintergrund
Die neue Altfahrzeugverordnung verfolgt das Ziel, den Beitrag des Automobilsektors zur Kreislaufwirtschaft zu erhöhen und gleichzeitig den Wirtschaftsteilnehmern und Verwaltungen mehr Rechtsklarheit zu verschaffen. Mit der Stärkung der Kreislaufwirtschaft im Automobilsektor soll insbesondere auch der Zugang zu kritischen Rohstoffen für die Europäische Wirtschaft verbessert werden, um zu den Umwelt- und Klimazielen der EU beitragen zu können. Zu diesem Zweck sollen durch die Verordnung unmittelbar der Binnenmarkt für Altfahrzeuge, der Überblick über in der EU befindliche Altfahrzeuge sowie die Verwertung von Altfahrzeugen in der EU insgesamt verbessert werden. Gleichzeitig sollen Fahrzeughersteller mittels verschärfter Regeln zur erweiterten Herstellerverantwortung stärker in die Pflicht genommen werden. Das Recycling von Altfahrzeugen und die hiermit verbundene Rückgewinnung der in Altfahrzeugen enthaltenen kritischen Rohstoffe sollen erleichtert und gefördert werden. Da sich der Rat der EU unter der belgischen Ratspräsidentschaft weiter intensiv mit dem Kommissionsvorschlag befasst hat, haben auch BDE und FEAD Änderungsvorschläge erarbeitet und diese dem Rat zukommen lassen.


Wesentliche Inhalte
Der Kompromisstext der belgischen Ratspräsidentschaft befasst sich nicht mit dem gesamten Vorschlag für eine Altfahrzeugverordnung, sondern nur mit bestimmen Themenbereichen. Der Rat hat sich insbesondere mit den Definitionen, der Rücknahme von Altfahrzeugen, dem zentralen Thema der Altfahrzeugbehandlung sowie mit dem Export von Gebrauchtfahrzeugen auseinandergesetzt. Mit den Neuregelungen zur erweiterten Herstellerverantwortung etwa hat sich der Rat hingegen noch nicht befasst.


Definition von Altfahrzeugen
Der Kompromisstext sieht eine neue Definition für Altfahrzeuge vor, die weiter ist als die Definition im Kommissionsvorschlag. Nach dem Kommissionsvorschlag handelt es sich bei einem Fahrzeug zunächst dann um ein Altfahrzeug, wenn es sich um Abfall im Sinne von Art. 3 Nummer 1 der Abfallrahmenrichtlinie handelt. Gemäß Art. 3 Nr. 1 der Abfallrahmenrichtlinie ist „Abfall“ jeder Stoff oder Gegenstand, dessen sich sein Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Daneben handelt es sich bei Altfahrzeugen um Fahrzeuge, die gemäß den Kriterien in Anhang I Teil A Nummern 1 und 2 nicht mehr reparierbar sind. Diese Nummern des Anhangs I regeln sodann die Kriterien für technische und wirtschaftliche Irreparabilität. Eine technische Irreparabilität liegt zum Beispiel vor, wenn ein Fahrzeug in einem solchem Maße verbrannt wurde, dass der Motorraum oder der Fahrgastraum zerstört ist. Eine wirtschaftliche Irreparabilität liegt nach dem Kommissionsvorschlag vor, wenn eine Reparatur aus wirtschaftlicher Sicht keinen Sinn ergibt, da der Marktwert des Fahrzeuges niedriger ist als die Kosten der erforderlichen Reparaturen, um das Fahrzeug in einen technischen Zustand zu versetzen, der für eine Zulassung zu dem Straßenverkehr innerhalb der EU erforderlich ist.

Hingegen soll es sich nach dem Kompromisstext der belgischen Ratspräsidentschaft im Falle der Irreparabilität eines Fahrzeuges bei diesem Fahrzeug um „Abfall“ handeln – unabhängig von der Erfüllung der Voraussetzungen der Abfalldefinition der Abfallrahmenrichtlinie.


Ausstellen eines elektronischen Verwertungsnachweises
Der Kommissionsvorschlag sieht vor, dass die Entsorgung von Altfahrzeugen ausschließlich durch zugelassene und überwachte Behandlungseinrichtungen erfolgen darf. Ausschließlich diese Behandlungseinrichtungen sollen auch einen Verwertungsnachweis in elektronischer Form ausstellen und den zuständigen Behörden übermitteln dürfen. Die Erteilung einer Genehmigung als zugelassene Verwertungsanlage richtet sich nach den allgemeinen Voraussetzungen des Art. 23 der Abfallrahmenrichtlinie. Zu diesen Voraussetzungen gehören insbesondere die Festlegung der Art und der Menge der in der konkreten Einrichtung zu behandelnden Abfälle, technische Anforderungen an den betreffenden Standort sowie zu ergreifende Sicherheits- und Vorsorgemaßnahmen. Nach dem Kommissionsvorschlag wird die Abmeldung eines Altfahrzeuges mit der Vorlage eines solchen Verwertungsnachweises verknüpft, d.h. sie ist ohne Verwertungsnachweis nicht möglich (Art. 25).

Zu diesem Themenkomplex sieht der Kompromisstext der belgischen Ratspräsidentschaft eine wichtige Änderung vor: danach sollen die EU-Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht vorsehen können, dass sämtliche Behandlungseinrichtungen für Altfahrzeuge – also gerade nicht lediglich zugelassene und überwachte Behandlungseinrichtungen – einen elektronischen Verwertungsnachweis ausstellen dürfen.


Demontagepflichten gemäß Art. 30 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang VII, Teil C
Der Verordnungsvorschlag sieht verbindliche Demontagepflichten für Behandlungsanlagen vor dem Schreddern gemäß Art. 30 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang VII, Teil C vor. Deren Ziel ist es, eine bestmögliche Wiederverwendung bzw. ein bestmögliches, stoffreines Recycling zu ermöglichen. So ist es zum Beispiel zwingend notwendig, Batterien vor dem Schreddern zu entfernen.

Der Kompromisstext der belgischen Ratspräsidentschaft sieht Änderungen in Bezug auf diese Demontagepflichten vor. So sollen Bauteile aus Glas, nämlich etwa Windschutz-, Heck- und Seitenscheiben, zu einem Umfang von mindestens 70% entfernt werden. Zusätzlich wurden Sonnendächer aus Glas hinzugefügt. Von der Liste der verpflichtend zu entfernenden Bauteile wurden hingegen Flüssigkeitsbehälter entfernt. Gas- und Kraftstofftanks wurden schließlich nicht in die Liste aufgenommen.


Zielvorgaben für die Wiederverwendung und das Recycling
Der Kommissionsvorschlag regelt, dass im Hinblick auf die Wiederverwendungs- und Recyclingquoten die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass die Abfallbewirtschafter diese Quoten einhalten (Art. 34). Im Falle der Nichteinhaltung dieser Quoten sieht Art. 48 unter ausdrücklicher Nennung etwa des Art. 34 vor, dass die Mitgliedstaaten Sanktionen im Falle von Verstößen gegen diese Vorschrift vorsehen müssen.

Hierzu enthält der Kompromisstext des Rates eine entscheidende Änderung: die Mitgliedstaaten sollen demnach nicht mehr dazu verpflichtet werden, sicherzustellen, dass die Abfallbewirtschafter die Recycling- und Wiederverwendungsquoten einhalten. Vielmehr werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit gerade die Hersteller beziehungsweise die Organisationen für die erweiterte Herstellerverantwortung die Erreichung der vorgesehenen Wiederverwendungs- und Recyclingquoten durch die Abfallbewirtschafter ermöglichen. Somit sollen nicht mehr die Abfallbewirtschafter für die Einhaltung der Wiederverwendungs- und Recyclingquoten verantwortlich sein, sondern die Hersteller.


Bewertung
Die Bewertung des Kompromisstextes zu einigen zentralen Kapiteln der Altfahrzeugverordnung zum Ende der belgischen Ratspräsidentschaft fällt gemischt aus. Der Ratstext enthält sowohl positive als auch negative Änderungen zum Kommissionsvorschlag. Kritisch zu sehen ist die Änderung der Definition für Altfahrzeuge. Das klare Ziel des Rates war es hierbei, sämtliche Altfahrzeuge als „Abfall“ zu deklarieren. Aus diesem Grunde sollen auch Fahrzeuge, welche als irreparabel eingestuft werden, „Abfall“ sein, selbst wenn die Voraussetzungen der Abfalldefinition des Art. 3 Nr. 1 der Abfallrahmenrichtlinie nicht vorliegen.

Eine solche Ausweitung des Abfallbegriffes der Abfallrahmenrichtlinie für den Anwendungsbereich der Altfahrzeugverordnung sollte dringend vermieden werden, da sie zu Rechtsunsicherheit führt. Bei dem Abfallbegriff handelt es sich um den wichtigsten Terminus des Entsorgungsrechts, der abschließend und ausschließlich in der Abfallrahmenrichtlinie geregelt werden muss. Die Abfallrahmenrichtlinie bildet den Rahmen für spezielles Abfallrecht, wie etwa das Altfahrzeugrecht.

Es besteht darüber hinaus auch keinerlei Notwendigkeit, die Definition für Altfahrzeuge zu ändern. Der Kommissionsvorschlag ist in dieser Hinsicht als sehr positiv zu bewerten, indem er regelt, dass es sich bei Altfahrzeugen entweder um Fahrzeuge handelt, die Abfall gemäß Art. 3 Nr. 1 der Abfallrahmenrichtlinie sind, oder um Fahrzeuge, die technisch oder wirtschaftlich irreparabel sind. Die Voraussetzungen für technische oder wirtschaftliche Irreparabilität werden abschließend im Anhang I der Verordnung geregelt. Bei einer solchen klaren Begriffsbestimmung bestehen keinerlei Abgrenzungsprobleme. Daher ist die Altfahrzeugdefinition des Kommissionsvorschlages zu unterstützen.

Ebenso ist die von der belgischen Ratspräsidentschaft vorgeschlagene Änderung im Hinblick auf das Ausstellen des elektronischen Verwertungsnachweises sehr kritisch zu sehen. Sinn und Zweck der Begrenzung der zum Ausstellen eines elektronischen Verwertungsnachweises autorisierten Einrichtungen auf zugelassene Verwertungsanlagen ist die Bekämpfung illegaler Altfahrzeugbehandlung. Wenn nun der Kreis der zum Ausstellen ermächtigten Einrichtungen auf sämtliche Behandlungseinrichtungen für Altfahrzeuge erweitert werden soll, dann wird hierdurch eine unkontrollierte und illegale Altfahrzeugbehandlung ermöglicht und damit dem Sinn und Zweck dieser Revision widersprochen.

Zusätzlich würde eine solche Änderung auch das Verordnungsziel einer Harmonisierung konterkarieren. Es sollen durch diese Revision und dem Übergang von einer Richtlinie zu einer EU-weit unmittelbar anwendbaren und wirksamen Verordnung nämlich unionsweit einheitliche Standards für zugelassene Verwertungsanlagen und deren Rechte und Pflichten gelten. Wenn ein einzelner Mitgliedstaat hingegen ermächtigt wird, von dem Alleinstellungsmerkmal zugelassener Altfahrzeugverwertungsanlagen – dem Ausstellen eines elektronischen Verwertungsnachweises – abweichen zu dürfen, wird eine EU-weite Harmonisierung konterkariert.

Dagegen ist es im Hinblick auf die Demontageverpflichtungen sehr erfreulich, dass der Kompromisstext des Rates vorsieht, dass Bauteile aus Glas, nämlich Windschutz-, Heck- und Seitenscheiben sowie Sonnendächer, zu einem Umfang von mindestens 70% entfernt werden müssen. Die 70%-Quote erklärt sich aus der konkreten Art der Behandlung: da Bauteile aus Glas herausgesägt oder geschlagen werden, ist eine 100%-Quote bei der Entfernung von Bauteilen aus Glas in der Praxis unmöglich und eine Quote von mindestens 70% realistisch. Generell ist eine Entfernung der genannten Bauteile für ein qualitativ hochwertiges Glasrecycling zwingend erforderlich.

Der BDE fordert weiterhin nachdrücklich, auch Gastanks sowie Kraftstofftanks in die Liste der zwingend zu demontierenden Komponenten des Anhangs VII, Teil C aufzunehmen. Die fehlende Entfernung von Gas- und Flüssigkeitstanks vor dem Schreddern führt regelmäßig zu Explosionen in Schredderanlagen, die eine erhebliche Gefahr für das Personal der Anlagen darstellen und hohe Sachschäden zur Folge haben können.

Abschließend ist als äußerst positiv zu bewerten, dass die Verantwortung für die Einhaltung der Wiederverwendungs- und Recyclingquoten nicht einseitig bei den Abfallbewirtschaftern. liegen soll. Die Abfallbewirtschafter können diese Quoten naturgemäß nur dann einhalten, wenn die Hersteller ihre Verpflichtungen zum recyclingfreundlichen Produktdesign einhalten. Konsequenterweise müssen auch die Hersteller die Verantwortung dafür tragen, dass die Abfallbewirtschafter die Wiederverwendungs- und Recyclingquoten einhalten können, was der Kompromisstext der belgischen Ratspräsidentschaft – im Unterschied zum Kommissionsvorschlag – vorsieht.


Aktueller Stand und Ausblick
Gleich zu Beginn stellt die belgische Ratspräsidentschaft klar, dass ihr Kompromisstext intendiert, den in den bisherigen Ratsgesprächen geäußerten Ansichten ausreichend Rechnung zu tragen und daher als Grundlage für die Arbeiten der kommenden Ratsvorsitze dienen kann. Dadurch wird verdeutlicht, dass die kommenden Ratsvorsitze nicht an diesen Text gebunden sind, diesen jedoch als Grundlage begreifen sollten. Inwiefern sich die ungarische Ratspräsidentschaft abschließend auf diesen Kompromisstext stützen wird, ist aktuell noch unklar.

Mit Spannung wird erwartet, wann das Europäische Parlament die Arbeiten zu diesem Dossier wieder aufnimmt. Ob Jens Gieseke (EVP, Deutschland) weiterhin Berichterstatter bleibt, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Hingegen steht bereits fest, dass Herr Gieseke
festes stellvertretendes Ausschussmitglied im Umweltausschuss (ENVI) wird. Damit ist es möglich, dass er auch Berichterstatter zum Vorschlag für eine Altfahrzeugverordnung bleibt. Gemäß Art. 51 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments können auch feste stellvertretende Ausschussmitglieder als Berichterstatter für ein Dossier benannt werden.

   

Download BDE/VOEB Europaspiegel Oktober 2024

Michael Iordache

Legal Advisor, Europareferent - Wettbewerb, Binnenmarkt, Steuern und Abfallverbringung