Verordnung zur Vermeidung von Kunststoffgranulatverlust

Berichtsentwurf des Umweltausschusses verschärft Kommissionsvorschlag erheblich

Ziel des Verordnungsvorschlags der Europäischen Kommission ist es, die Freisetzung von Kunststoffgranulat in die Umwelt entlang der gesamten Lieferkette von der Herstellung über den Transport zur Verarbeitung zu minimieren. Die Europäische Kommission möchte dadurch Kunststoffgranulatverlust als eine Quelle der Umweltverschmutzung mit Mikroplastik bekämpfen. Laut Kommission gelten Reifen, Textilien und Farben hierfür als weitere Hauptquellen.

 

Hintergrund
Die Europäische Kommission hat am 16. Oktober 2023 die Verordnung zur Vermeidung des Verlusts von Kunststoffgranulat vorgeschlagen. Im Europäischen Parlament ist der Umweltausschuss (ENVI) federführend mit dem Dossier betraut. MdEP João Albuquerque (S&D, Portugal) wurde als Berichterstatter benannt. Mitte Januar 2024 hat er seinen Berichtsentwurf im Umweltausschuss vorgestellt und weitgehende Verschärfungen am Kommissionsvorschlag eingebracht.


Wesentliche Inhalte
Die Verordnung soll für alle Wirtschaftsteilnehmer gelten, die in der Europäischen Union jährlich mindestens 5 Tonnen Kunststoffgranulat handhaben (Art. 1). Der Kommissionsvorschlag verpflichtet diese Wirtschaftsteilnehmer, einen Risikobewertungsplan unter Berücksichtigung der Art und Größe ihrer Anlage zu erstellen sowie im Zuge der risikobasierten Erwägung entsprechende Durchführungsmaßnahmen gemäß Anhang I an ihrer Anlage zu treffen und der zuständigen Behörde im Anschluss eine Konformitätserklärung zu übermitteln (Art. 4).

Der Risikobewertungsplan muss u.a. eine Beschreibung der vorhandenen Ausrüstung enthalten, um Austritte und Freisetzungen zu vermeiden, einzudämmen und zu beseitigen (Anhang I). Wirtschaftsakteure haben demnach unter Berücksichtigung von Art und Größe ihrer Anlage unter anderem folgende Maßnahmen zur Vermeidung zu erwägen: Vakuumdichtungen, reißfeste Verpackungen, Höchstmengen bei der Beförderung, feste Verfahrensabläufe; zur Eindämmung sind z.B. Auffangvorrichtungen, Abflussabdeckungen, Filtersysteme sowie, Inspektionen zu erwägen und zur Reinigung beispielsweise die Bereithaltung von Industriestaubsaugern und Handwerkszeugen.

Behörden dürfen Anlagenbetreibern zur wirksamen Eindämmung aufgeben, ihre Risikobewertungspläne zu ändern bzw. anzupassen sowie eine konkrete Durchführungsmaßnahmen zeitnah umzusetzen (Art.4 Abs. 3). Ab einer Handhabung von 1000 Tonnen Kunststoffgranulat pro Jahr bedarf es der behördlichen Zertifizierung der Durchführungsmaßnahmen (Art. 5).

Aktuelles
Der Berichtsentwurf des Umweltausschusses vom 11. Januar 2024 sowie einige andere im Umweltausschuss eingebrachte Änderungsanträge sehen die Ausweitung von Granulat auf Pulver, Flocken und Staub vor. Des Weiteren soll eine Zertifizierungspflicht bereits ab einer Handhabung von 250 Tonnen (statt 1000 Tonnen) pro Jahr gelten.

Vor allem diskutiert der Umweltausschuss aber eine risikounabhängige Verpflichtung zur Durchführung sämtlicher in Anhang I aufgelisteter – vorstehend nur zum Teil genannter – Maßnahmen zur Vermeidung, Eindämmung oder Beseitigung. Die Abstimmung des Umweltausschusses ist für den 19. März 2024 angesetzt.

Der assoziierte Industrieausschuss hat bereits am 14. Februar 2024 abgestimmt. Er hält dem Kommissionsvorschlag entsprechend an risikobasierten Maßnahmen fest.

Bewertung
Der BDE begrüßt die Eindämmung der Verschmutzung der Umwelt durch Mikroplastik. Das gleiche Ziel verfolgen auch die Einwegkunststoffrichtlinie, die Abfallrahmenrichtlinie, die Verpackungsverordnung, die der BDE ebenfalls sehr unterstützt.   

Allerdings ist aus Sicht des BDE festzustellen, dass jeglicher Kunststoffgranulatverlust einen wirtschaftlichen Schaden für das betroffene Unternehmen darstellt. Recyclingunternehmen haben deshalb größtes Interesse daran, ihr Produkt, das Granulat, nicht zu verlieren, weshalb sie selbstverständlich ohnehin alle hilfreichen Vorkehrungen treffen, um den Verlust von Granulat zu vermeiden.

Die Entwicklungen im Umweltausschuss, eine Verpflichtung der Unternehmen, sämtliche in Anhang I genannte Maßnahmen und Vorkehrungen unabhängig von der Risikobewertung zu ergreifen bzw. zu treffen, lehnt der BDE daher als unverhältnismäßig und unsachgemäß ab; zudem hängt die erforderliche Ausrüstung bzw. das erforderliche Vorgehen von den Merkmalen der jeweiligen Anlage ab. Die Vorkehrungen müssen nach Maßgabe des Risikos und der technischen Machbarkeit festgelegt werden. Deshalb muss der risikobasierte Ansatz gewahrt werden.

Abgesehen davon, dass die weitergehende Forderung des Umweltausschusses unsachgemäß ist, gilt es auch dringend zu beachten, dass sie droht, das Kunststoffrecycling vollends unwirtschaftlich zu gestalten. Aufgrund der starken Konkurrenz durch günstige Primärkunststoffe und der geringen Nachfrage ist die wirtschaftliche Situation für Unternehmen, die Kunststoffrecycling betreiben, derzeit sehr angespannt. Kostspielige und nicht zielführende Vorkehrungen zum Schutz vor Kunststoffgranulatverlust können die wirtschaftliche Situation der überwiegend mittelständischen Recyclingunternehmen daher weiter verschärfen. 

Dass der Industrieausschuss in seiner Stellungnahme vom 14.02.2024 den risikobasierten Ansatz beibehalten hat, lässt hoffen, dass noch eine Abschwächung der Forderungen des Parlaments erreicht werden kann.

 

Zeitplan
Die Abstimmung im Plenum wird vermutlich in der letzten Plenarwoche im April (KW 17) in dieser Legislaturperiode angesetzt, nachdem die Abstimmung im Umweltausschuss für den 19. März 2024 stattgefunden hat. Das Gesetzgebungsverfahrens wird jedoch nicht mehr in dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden, da die Positionierung des Rates noch aussteht und dann noch die Trilogverhandlungen durchzuführen sind. Allerdings steht die Verhandlungsposition des Europäischen Parlaments mit der Abstimmung im Plenum fest, sodass das Dossier im neuen Parlament ab dem Herbst weitergeführt werden wird, also nach Positionierung des Rates die Trilogverhandlungen mit dem neuen gewählten Parlament aufgenommen werden können.

 

Download BDE/VOEB Europaspiegel Februar 2024

Vera Greb

Europareferentin für Abfall- und Umweltrecht