Hintergrund
Bereits im März 2022 legte die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine revidierte Ökodesign-Verordnung vor, in dem zukünftig für nahezu alle Produktgruppen Designkriterien für eine verbesserte Haltbarkeit, Wiederverwendung, Reparierbarkeit, Recycelbarkeit sowie Energie- und Ressourceneffizienz festgelegt werden sollen. Europäisches Parlament und der Rat der Europäischen Union hatten seit Mitte des letzten Jahres über den Verordnungsentwurf verhandelt; am 5. Dezember 2023 erzielten sie eine Einigung. Kurze Zeit später, am 11. Januar 2024, wurde der Text dann im federführenden Umweltausschuss des Europäischen Parlaments angenommen und wartet nun auf die formelle Bestätigung durch das Plenum des Europaparlaments und den Rat der Mitgliedstaaten.
Wesentlicher Inhalt
Die neue Verordnung ersetzt die Ökodesign-Verordnung von 2005, die primär auf Energieeffizienz von Elektrogeräten fokussiert war. Nun sollen durch Ökodesignkriterien die Energie- und Ressourceneffizienz, Haltbarkeit, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit von nahezu allen Produkten verbessert und die Kreislaufwirtschaft somit gefördert werden. Ausgenommen sind lediglich Lebens- und Futtermittel, Medizin (für Mensch und Tier), Pflanz- und Tierprodukte, sowie Fahrzeuge und Produkte der nationalen Sicherheit. Die konkreten Ökodesignanforderungen einschließlich der bereitzustellenden Informationen sollen für die verschiedenen Produktgruppen nach und nach in delegierten Rechtsakten durch die Europäische Kommission festgelegt werden
Das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission hinsichtlich der delegierten Rechtsakte wird in den ersten neun Monaten nach dem Inkrafttreten der Verordnung veröffentlicht und anschließend regelmäßig aktualisiert. Zwar wird der Europäischen Kommission bei der Priorisierung von Produktgruppen generell freie Hand gelassen, jedoch haben sich Rat und Parlament auf eine Liste an Gütern geeinigt, für die so schnell wie möglich Ökodesignkriterien erlassen werden sollen. Dazu zählen folgende Produktgruppen: Eisen und Stahl, Aluminium, Textilien (Bekleidung und Schuhe), Möbel (inklusive Matratzen), Reifen, Wasch- und Schmiermittel, Chemikalien, sowie datenverarbeitende Produkte und Elektronik. Der vorläufige Text der Verordnung legt auch fest, dass die ersten delegierten Rechtsakte frühestens zwölf Monate nach Inkrafttreten der Ökodesign-Verordnung angenommen werden dürfen.
Darüber hinaus beinhaltet die vorläufige Einigung ein Warenvernichtungsverbot für unverkaufte Kleidung und Schuhe. Unklar ist indes, ob das Warenvernichtungsverbot auch für Entsorgungsunternehmen wie z.B. Betreiber von thermischen Abfallbehandlungsanlagen gilt. Im ursprünglichen Kommissionsentwurf war nur die Ermächtigung der Europäischen Kommission vorgesehen, durch delegierte Rechtsakte Warenvernichtungsverbote für bestimmte Produkte einzuführen, welche sich lediglich an Wirtschaftsteilnehmer richtete. Das Europäische Parlament führte in seinen Änderungsanträgen in einem neuen Art. 20a ein, ebenfalls an Wirtschaftsteilnehmer gerichtetes, unmittelbar geltendes Warenvernichtungsverbot für Kleidung und Schuhe ein. Da Entsorgungsunternehmen nicht unter die Definition des Begriffs „Wirtschaftsteilnehmer” fallen, wäre die Branche völlig unbetroffen gewesen.
Jedoch ist in der vorläufigen Einigung der Bezug auf Wirtschaftsteilnehmer im Zusammenhang mit dem Warenvernichtungsverbot entfallen. Somit könnte angenommen werden, dass das Warenvernichtungsverbot ganz allgemein für „jedermann” gilt. Dagegen spricht jedoch, dass sich die Berichtspflichten über vernichtete Waren und über Maßnahmen zur Vermeidung der Vernichtung von Waren weiterhin nur an Wirtschaftsteilnehmer richten (Erwägungsgrund (47), Art. 19a, Art. 20). Dazu zählen auch die Gründe für die Entsorgung von Erzeugnissen und gegebenenfalls Angabe, welche Ausnahme vom Warenvernichtungsverbot gemäß Artikel 20b Abs. 6 greift. Würden andere natürliche oder juristische Personen als die vom Begriff des Wirtschaftsteilnehmers umfassten Personen Adressaten des Warenvernichtungsverbotes sein, müssten sie auch den Berichtspflichten unterliegen. Zudem regelt Art. 20a Abs. 3, dass Wirtschaftsteilnehmer, die nicht dem Warenvernichtungsverbot unterliegen, keine unverkaufte Ware entsorgen oder an Dritte weitergeben dürfen, um sie zu vernichten und so das Verbot zu umgehen.
Prinzipiell gilt das Warenvernichtungsverbot 2 Jahre nach Inkrafttreten der Ökodesign-Verordnung, allerdings wurden KMUs längere Übergangsphasen zugestanden und Kleinstunternehmen vollständig ausgenommen. Überdies wurde die Europäische Kommission mit der Befugnis ausgestattet, nach einer Beurteilung weitere Produktgruppen in das Warenvernichtungsverbot mitaufzunehmen.
Die revidierte Verordnung fördert zusätzlich das ökologische öffentliche Beschaffungswesen. Hier darf die Europäische Kommission in Form von Durchführungsrechtsakten technische Spezifikationen, Zuschlagskriterien, Bedingungen für die Auftragsausführung oder Zielvorgaben bestimmen. Allerdings dürfen gleichzeitig keine unverhältnismäßigen Kosten entstehen.
Schlussendlich wird auch hier, wie in vielen anderen Dossiers, ein digitaler Produktpass eingeführt. Darin sollen neben generellen Produktinformationen für den Konsumenten beispielsweise auch Entsorgungsanweisungen aufgeführt werden.
Bewertung des BDE
Der BDE begrüßt die weitreichenden ökologischen Produktstandards, die verabschiedet werden sollen. Wenngleich es sich hier um den Rechtsrahmen und noch nicht die konkreten Ökodesignanforderungen für die Produktgruppen handelt, wird hiermit der Grundstein gelegt. Zudem werden insbesondere die verbindlichen Vorgaben für nachhaltige öffentliche Beschaffung den Sekundärrohstoffmarkt entscheidend fördern.
Der Verband sieht die Verlagerung von Regelungen aus dem eigentlichen Rechtsakt in delegierte Rechtsakte grundsätzlich äußerst kritisch, da so – auch wenn die Europäische Kommission vor dem Erlass delegierter Rechtsakte sowohl Stakeholder konsultieren als auch eine Folgenabschätzung erstellen muss – die Entscheidungsprozesse intransparent werden und ein demokratisches Legitimationsdefizit entsteht. In diesem Fall erscheint die sukzessive Regelung der Ökodesignanforderungen der verschiedenen Produktgruppen durch delegierte Rechtsakte jedoch sachgerecht, da die Verordnung durch Detailregelungen für einzelne Produkte und Produktgruppen völlig überfrachtet würde und auch nicht für alle Produkte und Produktgruppen zum Zeitpunkt ihres Erlasses die Ökodesign-Anforderungen festgelegt sein können. Es ist allerdings für eine möglichst umfassende Beteiligung der Stakeholder an der Entwicklung der delegierten Rechtsakte Sorge zu tragen.
Die Einführung eines Warenvernichtungsverbots, wenn auch vorläufig in begrenztem Umfang, sieht der BDE ebenfalls äußerst kritisch. Das liegt zum einen an der grundsätzlich unklaren Rechtslage im Hinblick auf die Einbeziehung von Entsorgungsunternehmen in das allgemeine Warenvernichtungsverbot. Zum anderen besteht auch die Gefahr, dass eine Verantwortungsverlagerung von den vom Warenvernichtungsverbot erfassten Herstellern und Händlern auf die Entsorgungsunternehmen erfolgt, indem diesen die Waren zur weiteren “Verwendung” überlassen werden. Der zur Verhinderung einer Umgehung des Warenvernichtungsverbotes gedachte Art. 20a Abs. 3 vermag diese Fallkonstellation nicht zu verhindern, da er sich nur an Wirtschaftsbeteiligte richtet und somit eine Vernichtung durch Entsorgungsunternehmen nicht erfasst.
Zeitplan
• Abstimmung im Plenum: erstes Halbjahr 2024
• Abstimmung im Rat: erstes Halbjahr 2024
• Durchführungs-/delegierte Rechtsakte: erstes Halbjahr 2025