Revision der Energiebesteuerungsrichtlinie

keine Allgemeine Ausrichtung des Rates in dieser Legislaturperiode

Der Rat der EU wird unter der belgischen Ratspräsidentschaft  innerhalb dieser Legislaturperiode keine Allgemeine Ausrichtung mehr zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Revision der Energiebesteuerungsrichtline vereinbaren. Am 17. April 2024 hatte die belgische Ratspräsidentschaft noch einen neuen Kompromissvorschlag im Rat vorgelegt. Nachdem dieser Kompromissvorschlag in der Arbeitsgruppe „Steuerfragen“ des Rates am 25. April geprüft wurde, kam man zu der Erkenntnis, dass die Divergenzen innerhalb der Mitgliedstaaten zu groß seien, sodass sich eine schnelle Einigung als nicht möglich herausstellte.

 

Hintergrund
Die Europäische Kommission hatte im Juli 2021 eine Revision der Energiebesteuerungsrichtlinie vorgeschlagen, um die Besteuerung von Energieerzeugnissen an die derzeitige Energie- und Klimapolitik der EU anzupassen. Als Teil des Fit für 55-Pakets sollte die Richtlinie dahingehend angepasst werden, dass Erzeugnisse aus Energieträgern in Abhängigkeit von deren Nachhaltigkeit und Energiegehalt unterschiedlich hoch besteuert werden können.

Da das Steuerrecht nicht in den Zuständigkeitsbereich der EU fällt, durchläuft die Revision kein ordentliches, sondern ein besonderes Verfahren, das sogenannte Konsultationsverfahren. Der Rat der EU (bestehend aus je einem Vertreter jedes EU-Mitgliedstaates auf Ministerebene) tritt hier als nahezu alleiniger Gesetzgeber auf und muss eine einstimmige Annahme erzielen. Das Europäische Parlament kann den Kompromiss des Rates billigen, ablehnen oder Änderungen vornehmen. Es ist zwar erforderlich, dass das Europäische Parlament eine Stellungnahme abgibt, der Rat muss diese bei seiner Entscheidungsfindung jedoch nicht berücksichtigen.


Aktuelles
Nachdem der erste Kompromissvorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2023 keine Einigung erzielen konnte, hat die belgische Ratspräsidentschaft im April 2024 einen hierauf aufbauenden neuen Kompromissvorschlag vorgelegt.

Eine Allgemeine Ausrichtung des Rates ist jedoch seit dem letzten Treffen der Ratsarbeitsgruppe Steuerfragen am 25. April nicht mehr möglich, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass der Kompromissvorschlag der belgischen Ratspräsidentschaft am 17. April den letzten Versuch darstellte, noch in diesem Halbjahr zu einer Einigung zu kommen. Die Gründe für das Scheitern einer Einigung über dieses Dossier in dieser Legislaturperiode sind zum einen, dass sich mehrere Mitgliedsstaaten noch nicht zu dem letzten Kompromissvorschlag der belgischen Ratspräsidentschaft positioniert haben, zum anderen, dass die notwendige Stellungnahme des Parlaments noch nicht vorgelegt wurde.

Im Rat zeichnete sich bereits früh ab, dass es sehr schwierig würde, bei diesem Dossier Fortschritte zu erzielen, allen voran aufgrund des sensiblen Themas EU-weiter Mindeststeuersätze sowie der erforderlichen Einstimmigkeit. Vor dem Hintergrund der fehlenden Fortschritte auf Ratsebene spielte dieses Dossier auch im Europäischen Parlament spätestens ab dem 2. Quartal 2022 eine im Vergleich zu den übrigen Vorschlägen des Fit for 55-Paketes klar untergeordnete Rolle. Stellungnahmen einiger beteiligter Ausschüsse und Änderungsanträge vereinzelter Mitglieder liegen jedoch bereits vor. Die noch ausstehende Stellungnahme des federführenden ECON-Ausschusses war für den 18. April 2024 angesetzt, wurde jedoch auf ein unbekanntes Datum verschoben. Die Abstimmung im Plenum wird daher frühestens nach der Sommerpause in der neuen Legislatur vorgenommen werden können.


Wesentliche Inhalte
Kommissionsvorschlag
Der Kerngedanke der Revision ist eine Überarbeitung der Steuersätze. Diese sollen sich zukünftig nicht länger an Volumen oder Gewicht der Energieerzeugnisse orientieren, sondern an ihrem Energiegehalt (in Euro pro Gigajoule, EUR/GJ) und ihrer Nachhaltigkeit. Dafür werden die Energieerzeugnisse in Kategorien eingeteilt und entsprechend den beiden Kriterien in einer Rangfolge angeordnet, an der sich dann die Steuersätze orientieren sollen. So können umweltschädliche Kraft- und Brennstoffe höher besteuert werden als nachhaltige Energiequellen, gleichzeitig wird aber auch der Energiegehalt miteinbezogen.

Auch an der Steuerbemessungsgrundlage sollen Veränderungen vorgenommen werden. Bisher nicht erfasste Energieerzeugnisse und Verwendungszwecke, wie beispielsweise Brennholz, Holz in Form von Pellets oder Schnitzeln, Sägespäne, Holzabfälle oder Holzkohle, sollen in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezogen und künftig besteuert werden. Einige nationale Steuerbefreiungen und -ermäßigungen sollen abgeschafft werden. Hierzu zählt unter anderem die nach der aktuellen Fassung der Energiebesteuerungsrichtlinie mögliche Steuerbegünstigung für die Nutzung von aus Abfallgas anfallenden gasförmigen Kohlenwasserstoffen als Heizstoff. Die Mitgliedstaaten hätten damit weniger Freiraum, Steuersätze unterhalb der Mindeststeuersätze festzusetzen. Diese Mindeststeuersätze wurden zuletzt im Jahr 2003 überarbeitet und sollen daher ebenfalls im Zuge der Reform angepasst werden. Fossile Energieträger wie Gasöl, Benzin und nicht nachhaltige Biokraftstoffe sollen demnach mit dem höchsten Mindeststeuersatz von 10,75 EUR/GJ bei Verwendung als Kraftstoff und mit einem Mindeststeuersatz von 0,90 EUR/GJ bei Verwendung als Heizstoff besteuert werden. Elektrischer Strom, fortschrittliche nachhaltige Biokraftstoffe, Biogas und andere erneuerbare Kraftstoffe hingegen sollen dem niedrigsten Mindeststeuersatz von 0,15 EUR/GJ unterliegen.

Schwedischer Kompromissvorschlag (2023)
Der schwedische Kompromissvorschlag aus Mai 2023 sah vor, gefährliche Abfälle und Siedlungsabfälle, die als Brennstoff verwendet werden, aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, da sich die Mitgliedsstaaten diesbezüglich nicht einigen konnten. Daher sollte es den Mitgliedstaaten überlassen werden, hierzu nationale Regelungen zu treffen.

Belgischer Kompromissvorschlag (2024)
Der neue belgische Kompromissvorschlag baut auf dem der schwedischen Ratspräsidentschaft auf. Er sieht höhere Mindeststeuersätze als der Kommissionsvorschlag vor. Diese sollen aber schrittweise in Abständen von jeweils fünf Jahren eingeführt werden. Fossile Kraftstoffe sollen beispielsweise ab 2026 mit 10,75 EUR/GJ besteuert werden, ab 2031 mit 11,52 EUR/GJ und ab 2036 dauerhaft mit 12,28 EUR/GJ. Elektrischer Strom, der unter den niedrigsten Mindeststeuersatz fällt, soll zu den gleichen Zeiträumen mit mindestens 0,15 EUR/GJ, 0,16 EUR/GJ und 0,17 EUR/GJ besteuert werden.

Ein kontroverser Punkt in den Verhandlungen war bisher auch die Besteuerung von Flug- und Schiffskraftstoffen auf Routen innerhalb der EU. Hier macht der belgische Kompromissvorschlag Zugeständnisse an die Mitgliedstaaten: Diese sollen Ausnahmen von den Mindeststeuersätzen auf Schiffskraftstoffe vorsehen dürfen, soweit die Schiffe für den Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaates vorgesehen sind.

Ausnahmen für Flugzeugkraftstoffe dürfen dann gemacht werden, wenn es sich um innereuropäische Flüge von und zu Flugplätzen auf Inseln ohne Straßen- oder Zuganbindung ans europäische Festland handelt. Die betroffenen Kraftstoffe dürften bis zu zehn Jahre lang vollständig von der Besteuerung befreit sein und müssten erst nach einem weiteren Übergangszeitraum von fünf Jahren uneingeschränkt besteuert werden. Ausnahmen von der Mindestbesteuerung sind auch für Kraftstoffe und Strom in Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Gartenbau und Aquakultur möglich.   

Mitgliedstaaten mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner von 60% unterhalb des europäischen Durchschnitts dürfen darüber hinaus bis zu 20 Jahre nach Inkrafttreten der überarbeiteten Richtlinie Ausnahmen von der Mindestbesteuerung für Energieprodukte und Strom in Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen vorsehen.

Sollten die Preise für einen Energieträger deutlich steigen, dürfen die Mitgliedstaaten den Steuersatz ebenfalls unter das Mindestniveau senken. Dieser „Ausnahmemechanismus“ ist jedoch nur möglich, soweit der Preis mehr als 70% über dem durchschnittlichen Preis der vergangenen zwölf Monate liegt und darf nur einmal binnen zwölf Monaten aktiviert werden.


Bewertung
Eine Anpassung der Energiebesteuerung ist insbesondere angesichts neuer Energieträger wie Wasserstoff, der bis 2050 angestrebten Klimaneutralität Europas sowie der über zwanzig Jahre zurückliegenden letzten Revision der Richtlinie aus Sicht des BDE überfällig.

Der Ansatz, Steuersätze nicht länger an Gewicht und Volumen, sondern an Nachhaltigkeit und Energiegehalt zu orientieren, erlaubt eine ganzheitliche Beurteilung der Energieträger und schafft notwendige Anreize für Akteure, zum grünen Wandel auf dem Energiemarkt beizutragen.

Insbesondere in Anbetracht der Mindeststeuersätze warnt der BDE jedoch vor zu ambitionierten Festsetzungen. Obwohl der BDE ehrgeizige Klimaziele klar befürwortet, muss gleichzeitig stets eine Gesamtbetrachtung der Umstände im globalen Kontext vorgenommen werden. Bezahlbare Energiepreise sind die Grundlage für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort Europa – dies trifft nicht zuletzt auf die Kreislaufwirtschaft zu. Zum einen ist das Recycling von Abfällen eine energieintensive Tätigkeit, zum anderen leistet die Kreislaufwirtschaft mit der thermischen Verwertung von Abfällen einen Beitrag zur Energieversorgung und trägt damit einen essenziellen Teil zu einer funktionierenden Industrie bei. Unverhältnismäßig hohe Steuersätze und Abgaben beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit der EU im internationalen Kontext und führen zu der unmittelbaren Gefahr einer Abwanderung von großen Teilen der Branche. Demgegenüber ist es erklärtes Ziel der Europäischen Kommission, den Industriestandort Europa gerade vor solchen Abwanderungen langfristig zu schützen.

Der BDE plädiert daher stets für eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung der im Rahmen der willkommenen Revision vorgeschlagenen Neuregelungen. Nationale Entscheidungsspielräume, wie es etwa der Vorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft vorgesehen hatte, werden in diesem Zusammenhang befürwortet – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die Steuerhoheit bei den Mitgliedstaaten liegt.

 

Zeitplan
Nach dem Scheitern der Verhandlungen ist völlig offen, inwiefern das Dossier von der bevorstehenden ungarischen Ratspräsidentschaft wieder aufgenommen wird. Diesbezügliche Pläne der ungarischen Ratspräsidentschaft lagen bei Redaktionsschluss nicht vor.

 

Download BDE/VOEB Europaspiegel Mai 2024

Michael Iordache

Legal Advisor, Europareferent - Wettbewerb, Binnenmarkt, Steuern und Abfallverbringung