EU Indicator Framework for Chemicals

Wegweiser für die REACH-Verordnung?

Die Europäische Umweltagentur (European Environmental Agency – EEA) und die Europäische Chemikalienagentur (European Chemicals Agency – ECHA), zwei Unterbehörden der Europäischen Kommission, haben vergangenen Monat ihren Bericht EU Indicator Framework for Chemicals über die Auswirkungen von Chemikalien auf die Natur und Abfallströme veröffentlicht, dessen Schlussfolgerungen auch für die anstehende Revision der europäischen Chemikalienverordnung (REACH) bedeutend sein könnten.

 

Hintergrund
Die Verordnung (1907/2006) zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (Registration, Evaluation, Authorisation and restriction of Chemicals – REACH-Verordnung) ist bereits 2007 in Kraft getreten und stellt das wichtigste Instrument der EU-Gesetzgebung dar, um potenziell gefährliche Auswirkungen von Chemikalien auf Mensch und Umwelt einzudämmen. Im Rahmen ihrer Better Regulation-Agenda, die darauf abzielt, EU-Regeln unkompliziert, zeitgemäß und am aktuellen Stand der Wissenschaft orientiert zu gestalten, beschäftigt sich die Europäische Kommission derzeit mit einer Revision der Verordnung. Dabei können die Befunde und Schlussfolgerungen aus dem Bericht von EEA und ECHA zu den Auswirkungen von Chemikalien auf die Natur und Abfallströme eine Rolle spielen.


Wesentliche Inhalte
EEA und ECHA ziehen in ihrem Bericht eine ernüchternde Bilanz: Das Abfallaufkommen (gefährlich und ungefährlich) der chemischen Industrie hat sich von 2012-2020 um 7% erhöht. Gleichzeitig gibt es nur wenig Anzeichen dafür, dass sich der Anteil potenziell schädlicher Substanzen in Abfallströmen und Sekundärrohstoffen, wie aufbereitetem Abwasser oder Produkten aus recycelten Materialien, verringert hat. Das hat nicht nur Auswirkungen auf Natur und Menschen – so wurden laut Bericht beispielsweise vereinzelt bei Jugendlichen PFAS-Werte (PFAS: Per- und polyfluorierte Chemikalien) im Blut festgestellt, die durchschnittlich 14% über dem ungefährlichen Richtwert lagen –  sondern auch auf die Wirtschaft, insbesondere die Recycling-Branche: belastete Sekundärrohstoffe sind aufgrund aufwendiger oder gar unmöglicher Dekontamination mit Primärrohstoffen nicht konkurrenzfähig, wodurch sich die Wettbewerbssituation von Rezyklaten (Sekundärrohstoffen) weiter verschlechtert.

Der Bericht sieht daher verschärfte Regeln als notwendig an, um die Nutzung von Gefahrstoffen und anderen potenziell bedenklichen Substanzen sowohl in Primärmaterialien als auch in Rezyklaten zu minimieren. So sollten laut dem Bericht durch Design- und Produktionsanforderungen sowie Grenzwerte für Gefahrstoffe in Sekundärmaterialien, die später erneut recycelt werden können, die Nutzung von sicheren, nachhaltigen Alternativen zu gängigen chemischen Substanzen gefördert werden. Außerdem solle die Herstellung von Produkten aus Primärmaterialien weitestgehend reduziert werden. Stattdessen empfehlen EEA und ECHA, einen stärkeren Fokus auf saubere Sekundärmaterialien zu legen. Neben diesen Maßnahmen, die die Verwendung von chemischen Substanzen im Kern schon in der Produktionsphase minimieren sollen, könne auch eine stärkere Getrenntsammlung von potenziell kontaminierten und nicht-kontaminierten Abfällen für eine sauberere und effektivere Weiterverarbeitung von Abfallströmen beitragen.

Dem Bericht zu Folge sind die Spuren von Chemikalien in Luft und Wasser als Folge einschlägiger EU-Regelungen zwar zurückgegangen, es bedürfe aber noch weiterer Regelungen und Einschränkungen, um Gefahren für Flora und Fauna vollständig auszuschließen. So ließen sich vereinzelt in Gewässern und im Boden auch noch Spuren von Pestiziden und Persistenten organischen Schadstoffen (POP) finden, die über den als ungefährlich eingestuften Grenzwerten liegen. Gleiches gilt für industrielle chemische Emissionen, die durch ambitioniertere Grenzwerte weiter eingeschränkt werden müssten.

Bewertung
Abfälle und Materialien mit Schadstoffbelastung sind nach wie vor ein großes Problem für die Entsorgungswirtschaft. Sie mindern die Qualität recycelter Sekundärmaterialien und stellen ein Gesundheitsrisiko für Mensch und Umwelt dar. Wie aus dem EU Indicator Framework for Chemicals hervorgeht, zeigt der Rückgang der Verwendung von Pestiziden und Substanzen, die im Rahmen der REACH- und POP-Verordnung eingeschränkt wurden, dass Regulierung ein effektives Instrument zur Minimierung von Schadstoffen sein kann.

Der BDE unterstreicht die entscheidende Rolle schadstofffreier Abfallströme für ein effektives Recycling und eine umfassende Kreislaufwirtschaft und erkennt die Herausforderungen an, die eine Kontamination zum Beispiel mit PFAS für die Ziele der Kreislaufwirtschaft darstellt. Der Gesetzgeber sollte die richtige Balance zwischen dem Schutz der Gesundheit von Mensch und Umwelt einerseits und der Förderung der Ressourceneffizienz durch die Kreislaufwirtschaft andererseits finden. Der BDE befürwortet eine einheitliche und konsistente Strategie zum Beispiel für alle PFAS in Wertstoffen und schlägt einen Ansatz ähnlich der POP-Verordnung mit einem schrittweisen Ausstieg aus PFAS in Rezyklaten durch vorübergehend höhere Schwellenwerte im Vergleich zu neuen Materialien vor, welcher zu einer künftigen Angleichung der Rechtsvorschriften für rezyklierte und neue Materialien führt (“phasing out”). Je nach Produktart werden kontaminierte Produkte früher oder später zu Abfall. Da diese Produkte zeitverzögert als Abfälle in die Recyclinganlagen gelangen und zu Sekundärmaterialen aufbereitet werden, sind Übergangsfristen für Rezyklate erforderlich. Im Ausnahmefall sollten notwendige, nicht substituierbare PFAS in geschlossenen Kreisläufen (closed-loop) geführt werden dürfen.

Daher betrachtet der BDE im Hinblick auf die Regulierung von POPs und PFAS eine „Zero Pollution“-Politik grundsätzlich kritisch, da sie dazu führen kann, dass Materialien nicht im Kreislauf gehalten werden und eine große Menge an Abfällen nicht verwertet, sondern beseitigt werden muss. Der Gesetzgeber ist gefordert, eine angemessene Balance zu finden zwischen dem Ziel, Schadstoffe wie PFAS möglichst aus Produkten herauszuhalten und aus dem Stoffkreislauf auszuschleusen, und dem Ziel, Ressourcen zu schonen und Materialien möglichst lange im Kreislauf zu halten. Der BDE befürwortet einen risikobasierten Ansatz, der die Verwendung bzw. das Verbot der Verwendung von POPs und PFAS produktspezifisch davon abhängig macht, inwieweit aufgrund der Einbindung der Stoffe in das jeweilige Produkt (Frage der Konstruktion und der Mobilität der Stoffe) und bei der bestimmungsgemäßen Verwendung des Produktes überhaupt die Gefahr besteht, dass die Stoffe in die Umwelt gelangen und die menschliche Gesundheit gefährden können.

 

Download BDE/VOEB Europaspiegel Mai 2024

Vera Greb

Europareferentin für Abfall- und Umweltrecht