Hintergrund
Die Industriemissionsrichtlinie (Richtlinie 2010/75/EU), ist seit 2010 das Rahmenwerk für die Regulierung der Emissionen von Industrieanlagen. Sie verfolgt das Ziel, Umweltverschmutzungen durch Industrieanlagen zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. Vor dem Hintergrund des Green Deals hatte die Europäische Kommission am 5. April 2022 einen Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie vorgelegt, um die Richtlinie an die neuen Klima- und Umweltziele der EU anzupassen, namentlich ein ambitionierterer Schutz von Umwelt und menschlicher Gesundheit sowie eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU. Das hieran anknüpfende Gesetzgebungsverfahren, das u.a. von zahlreichen Änderungsanträgen der zuständigen Parlamentsausschüsse und umfangreichen Verhandlungen geprägt war, fand schließlich vergangenen Monat ein Ende.
Wesentliche Inhalte
Änderung der Deponierichtlinie
Die Revision der IED umfasst eine teilweise Änderung der Deponierichtlinie (siehe auch Europaspiegel 06/2023 und 10/2023). Technische Anforderungen an Deponien werden demnach nicht länger in der Deponierichtlinie, sondern fortan in der IED geregelt.
Demzufolge werden im Rahmen der überarbeiteten IED zukünftig auch für Deponien sogenannte „beste verfügbaren Techniken“ (BVT) verbindlich festgelegt werden. „Beste-verfügbare-Techniken“ ist einer der wichtigsten Rechtsbegriffe sowohl der ersten als auch der nunmehr überarbeiteten Fassung der IED. Bei diesen BVT handelt es sich um diejenigen Techniken, die sowohl die beste Basis für Emissionswerte bilden, als auch hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit wirtschaftlich verfügbar und in ihrer Umsetzung verhältnismäßig sind. Sie werden im Rahmen eines umfassenden Wissens- und Informationsaustausches zwischen Kommission, Mitgliedstaaten, Nicht-Regierungsorganisationen und Industrie (allgemein bekannt als Sevilla-Prozess) ermittelt und in BVT-Merkblättern für die Mitgliedsstaaten festgehalten. Die BVT-Merkblätter enthalten somit Angaben zu den verbindlich einzuhaltenden Emissionswerten von Industrieanlagen. Infolge der Revision der IED werden die BVT-Merkblätter zukünftig auch Deponietechniken verbindlich festlegen.
Damit gibt es nun zwei Rechtsquellen, an denen sich die Abfalldeponierung orientieren muss: die IED mit ihren technischen Anforderungen und die Deponierichtlinie mit allen weiteren relevanten Vorschriften für die Deponierung.
Abschaffung der Emissionsbandbreiten
Die nach jetzigem Recht geltenden Emissionsbandbreiten werden im Zuge der Revision abgeschafft (Art.15 Abs.3 neu). Der Gesetzeswortlaut diesbezüglich ist jedoch nicht so streng wie noch im Kommissionsvorschlag vorgesehen.
Nach aktuell geltendem Recht müssen sich Emissionen im Rahmen festgelegter Bandbreiten befinden. Zur Ermittlung dieser Bandbreiten werden die verschiedenen verfügbaren Techniken zusammengetragen und ihre Emissionen betrachtet. Aus dem Mittelwert der Emissionen werden dann Bandbreiten ermittelt, die in den BVT-Merkblättern festgeschrieben und verbindlich von Industrieanlagen eingehalten werden müssen.
Der Kommissionsvorschlag wollte diesen sogenannten „integrierten Ansatz“ abschaffen und stattdessen den jeweils niedrigsten Emissionswert einer Technologie verpflichtend als Mindestwert vorschreiben. Diese Änderung wurde nach Widerstand von Parlament und Rat unter Abschwächung des Wortlauts in den finalen Text übernommen: der neue Ansatz zur verpflichtenden Einhaltung der untersten Emissionsgrenzwerte gilt also weiterhin, wurde aber abgeschwächt, vor allem, indem die Geltung neuer Emissionsgrenzwerte zeitlich nach hinten verschoben wurde.
So soll die zuständige Behörde neue Emissionsgrenzwerte am unteren Ende der Bandbreite nur dann festsetzen dürfen, wenn zuvor neue BVT-Schlussfolgerungen veröffentlicht wurden. Soweit aufbauend auf diesen neuen Schlussfolgerungen bestehende Anlagengenehmigungen überprüft werden, legt die Behörde gleichzeitig die strengsten erreichbaren Emissionsgrenzwerte für die betroffene Anlage fest. Dabei muss sie die bestmögliche Gesamtleistung der Anlage unter normalen Betriebsbedingungen und unter Berücksichtigung der gesamten Emissionsbandbreite beachten, was ebenfalls eine Änderung im Vergleich zum Kommissionsvorschlag darstellt.
Einführung von Umweltmanagementsystemen aber keine verpflichtende Veröffentlichung von Anlagengenehmigungen
Die zunächst von der Europäische Kommission geforderte verpflichtende Veröffentlichung von Anlagengenehmigungen ist nicht länger Teil des finalen Richtlinientextes. Demgegenüber ist Teil der überarbeiteten IED, dass sämtliche Industrieanlagenbetreiber künftig verpflichtet werden, ein Umweltmanagementsystem einzuführen. Dieses soll umweltpolitische Ziele für eine fortlaufende Verbesserung der Umweltleistung und Anlagensicherheit enthalten. Dazu sollen beispielsweise Maßnahmen zur Optimierung der Nutzung von Ressourcen und Wasserwiederverwendung zählen, sowie Maßnahmen, um die Verwendung von gefährlichen Stoffen zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren.
Teil der neu einzuführenden Umweltmanagementsysteme wird auch die Erstellung eines Transformationsplanes sein, der Informationen zum Beitrag der jeweiligen Anlage zum Übergang zu einer nachhaltigen, sauberen, kreislauforientierten, ressourceneffizienten und klimaneutralen Wirtschaft bis 2050 enthalten soll.
Bewertung
Der BDE kritisiert ausdrücklich die mit der Revision der IED verbundene Änderung der Deponierichtlinie. Deponien sind im Gegensatz zu den üblichen IED-Anlagen nicht durch eine reine Technik zu beschreiben. Sie stehen im unmittelbaren räumlichen Verbund und engem Zusammenhang mit den geologischen und meteorologischen Bedingungen des Standortes. Da diese Bedingungen überall anders sind und sich insbesondere im europäischen Maßstab sehr erheblich unterscheiden, folgt hieraus, dass es keine allgemein gültige bestverfügbare Technik geben kann. Eine Anpassung an die Standortbedingungen ist zwingend erforderlich und muss demnach möglich sein. Dies widerspricht der Intention eines BVT-Merkblattes, welches eine solche Komplexität nicht bieten kann. Die Ausgliederung technischer Anforderungen aus der Deponierichtlinie hat zudem eine unsystematische Doppelregulierung für Deponien in Industrieemissionsrichtlinie und Deponierichtlinie zur Folge.
Abgesehen davon stellt der finale Richtlinientext insgesamt eine Verbesserung im Vergleich zum Kommissionsvorschlag dar. Im Hinblick auf die geplante Abschaffung der Emissionsbandbreiten ist begrüßenswert, dass die zuständige Behörde neue Emissionsgrenzwerte am untersten Ende der Bandbreite zumindest nur dann bestimmen kann, wenn zuvor neue BVT-Schlussfolgerungen veröffentlicht wurden. Erfreulich ist auch, dass die Behörde bei der Bestimmung der untersten Emissionsgrenzwerte die bestmögliche Gesamtleistung der betreffenden Anlage unter normalen Betriebsbedingungen unter Berücksichtigung der gesamten Bandbreite der BVT-assoziierten Emissionswerte zu beachten hat. Gleichzeitig ist jedoch zu betonen, dass eine vollständige Löschung des vorgeschlagenen Art. 15 Abs. 3 und eine Beibehaltung des aktuellen Systems klar vorzugswürdig gewesen wären, um den integrierten Ansatz, welcher der IED zugrunde liegt, umzusetzen. Die finale Version des Art. 15 Abs. 3 ist demzufolge insgesamt kritisch zu sehen.
Positiv ist wiederum die Streichung der im Kommissionsvorschlag vorgesehenen Veröffentlichung erteilter Anlagengenehmigungen. Die Verhandlungsführer haben hier glücklicherweise erkannt, dass eine solche Veröffentlichung mit dem Schutz personenbezogener Daten der betroffenen Unternehmen sowie der Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs nicht vereinbar ist.
Nicht zuletzt in Anbetracht der Tatsache, dass Ziel der Revision auch eine Vereinfachung und Entbürokratisierung von Genehmigungsverfahren ist, ist die Einführung von Umweltmanagementsystemen und Transformationsplänen abschließend negativ zu bewerten. Die Regeln zum Umweltmanagementsystem erfordern von Unternehmen die Erbringung zusätzlicher Nachweise, was Verfahren erschwert, anstatt diese zu erleichtern. Abgesehen davon haben Unternehmen bereits zahlreiche Nachweise nach anerkannten Umweltmanagementsystemnormen (beispielsweise ISO 140001) zu erbringen – bei der Einführung neuer Umweltmanagementsysteme handelt es sich also um eine doppelte Berichtspflicht, die gerade vermieden werden sollte. Bei der Umsetzung der überarbeiteten Richtlinie in nationales Recht ist daher zwingend darauf zu achten, dass aufgrund anderweitiger Zertifizierungsnormen bereits erbrachte Nachweise im Rahmen des neuen Umweltmanagementsystems problemlos anerkannt werden. Schließlich ist in diesem Zusammenhang allein als positiv anzumerken, dass zumindest die Frist für die Einführung von Umweltmanagementsystemen verlängert wurde: Unternehmen werden die neuen Systeme demnach spätestens 34 Monate nach Inkrafttreten der überarbeiteten Richtlinie einführen müssen.
Zeitplan
Mit der Annahme der überarbeiteten IED steht nunmehr lediglich die Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union aus. Diese ist in den kommenden Tagen beziehungsweise Wochen zu erwarten. 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung wird die überarbeitete Richtlinie dann in Kraft treten. Die EU-Mitgliedstaaten werden die neue Richtlinie sodann innerhalb von 22 Monaten nach deren Inkrafttreten in ihr nationales Recht umsetzen müssen.