Mindestrezyklateinsatzquoten

Europäische Kommission schlägt Berechnungsmethode für chemisch recycelte Kunststoffe vor

Die Europäische Kommission hat im Rahmen der Einwegkunststoffrichtlinie (EU) 2019/904 (Single Use Plastics Directive – SUPD) einen Vorschlag für einen Durchführungsbeschluss zur Berechnung der Mindestrezyklatanteile in Kunststoffgetränkeflaschen vorgelegt. Darin enthalten ist auch die Regelung eines Massebilanzverfahrens zur Ermittlung der durch chemisches Recycling gewonnenen Kunststoffe. Die Regelungen könnten auf weitere Rechtsakte, die Mindestrezyklatgehalte für Kunststoffprodukte vorsehen, übertragen werden – wie die Verpackungsverordnung und die Altfahrzeugverordnung – und Auswirkungen auf das Verhältnis von mechanischem und chemischem Recycling haben.

 

Hintergrund
Die SUPD enthält Zielvorgaben für den Mindestgehalt an recyceltem Kunststoff in Einweg-Getränkeflaschen aus Kunststoff: ab 2025 müssen PET-Flaschen mindesten zu 25% aus recyceltem Material bestehen und ab 2030 müssen sämtliche Einweg-Kunststoffgetränkeflaschen zu 30% aus recyceltem Material bestehen, bezogen jeweils auf die im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates in Verkehr gebrachten Flaschen. In einem ersten Durchführungsbeschluss 2023/2683 vom 30. November 2023 hat die Kommission Vorschriften für die Anwendung der SUPD im Hinblick auf die Berechnung, Überprüfung und Meldung von Daten über den Gehalt an recyceltem Kunststoff festgelegt. Dieser Durchführungsbeschluss bezieht sich auf mechanisch recycelten Kunststoff. Mechanisches Recycling umfasst Verfahren, bei denen die Polymerstruktur nicht we-sentlich verändert wird und der Kunststoff als Material erhalten bleibt.

Art. 7 des Durchführungsbeschlusses 2023/2683 verpflichtet die Europäische Kommission, bis zum 31. März 2024 eine Änderung dieses Beschlusses vorzulegen, mit der eine Methode zur Berechnung, Überprüfung und Berichterstattung über den Gehalt an recyceltem Kunststoff in Getränkeflaschen festgelegt wird, die zusätzliche Arten des Recyclings berücksichtigt. Dabei ist in dem Durchführungsbeschluss auch ein Nachweis-Modell für Prozesse festzulegen, in denen rezykliertes Material mit neuem Material im Input des Prozesses gemischt wird, um letztendlich Kunststoff und möglicherweise andere Produkte herzustellen, und das dazu dient, den relativen Gehalt der rezyklierten Inputs den Outputs zuzuordnen (=Massebilanzverfahren). Das betrifft in erster Linie das chemische Recycling von Kunststoffen. Darunter versteht man die Umwandlung der Kunststoffpolymere in ihre Monomere bzw. chemischen Grundbausteine oder Basischemikalien, also die Depolymerisation mittels thermochemischer bzw. chemischer Prozesse. Gängigstes Verfahren ist die Pyrolyse. Das daraus gewonnene Pyrolyseöl kann als Rezyklat-Input bei der Herstellung neuer Kunststoffe verwendet werden. Kunststoffe werden in einem sogenannten „Cracker“ aus fossilen Inputstoffen, in der Regel Naphta, gewonnen. Allerdings sind die zur Kunststoffherstellung geeigneten Mono- bzw. Polymere nur ein Teil des Outputs aus dem Cracking-Prozess – sie machen ca. nur 20% des Outputs aus. Der überwiegende Teil des Outputs, ca. 40-50% dient der Herstellung von Brennstoffen und weitere ca. 20-30% des Outputs dienen zur Herstellung von Chemikalien. Daher ist ein Massebilanzverfahren zur Zuordnung des Anteils an Rezyklatinput (z.B. Pyrolyseöl) zu den im Cracking-Prozess gewonnenen Stoffe (Brennstoffe, andere Chemikalien, Monomere) notwendig.

Die Regelungen des SUPD-Durchführungsbeschlusses könnten als Blaupause dienen für alle anderen EU-Regelungen, die die Berechnung von Mindestrezyklatanteilen in Kunststoffprodukten vorsehen.

Verfahren
Der Durchführungsbeschluss wird im sogenannten Komitologieverfahren (Ausschussverfahren) erlassen: Die Europäische Kommission berät den Durchführungsbeschluss mit Vertretern der Mitgliedstaaten im Ausschuss für die Anpassung an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt und die Durchführung der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle („Adaptation to Scientific and Technical Progress and Implementation of the Directives on waste established under Article 39 of Directive 2008/98/EC“ Committee;  kurz: Technical Adaptation Committee – TAC) nach dem sogenannten „Prüfverfahren“ gemäß Art. 5 Verordnung (EU) 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren.

Beim Prüfverfahren ist eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten für Entscheidungen erforderlich, d.h. eine Entscheidung muss von mind. 55% der Mitgliedstaaten (das bedeutet 15 Mitgliedstaaten), die mind. 65% der Bevölkerung der EU repräsentieren, getragen werden. Gibt der Ausschuss mit einer solchen qualifizierten Mehrheit eine befürwortende Stellungnahme ab, so erlässt die Kommission den vorgeschlagenen Durchführungsrechtsakt. Gibt der Ausschuss eine ablehnende Stellungnahme ab, kann die Kommission, die den Vorsitz des Ausschusses führt, entweder demselben Ausschuss innerhalb von zwei Monaten nach Abgabe der ablehnenden Stellungnahme eine geänderte Fassung des Durchführungsrechtsakts vorlegen oder sie kann innerhalb eines Monats nach der Ablehnung den Entwurf einem Berufungsausschuss zur weiteren Beratung vorlegen, wenn sie den Durchführungsbeschluss für erforderlich hält.

Erster Entwurf eines Durchführungsbeschlusses mit „polymers only“-Massebilanzmethode
Die Kommission hat einen ersten Entwurf Ende November 2023 vorgelegt und Mitte Dezember 2024 mit den Mitgliedstaaten im TAC besprochen; zusätzlich hat sie schriftlich die Haltung der Mitgliedstaaten zu dem Entwurf abgefragt. In dem Entwurf hatte die Kommission die „polymers-only“-Methode zur Massebilanzierung vorgeschlagen. Nach der „polymers only“-Methode kann die theoretische Menge an rezykliertem Input (z.B. Pyrolyseöl) auf die Outputs des Herstellungsprozesses („Cracking-Prozess“), die direkt mit der Herstellung von Polymeren verbunden sind, frei verteilt werden. Die anderen bei der Produktion (Cracking) entstehenden Stoffe und der auf sie entfallende Anteil des Rezyklat-Inputs werden nicht auf die zur Kunststoffproduktion geeigneten Poly-/Monomere angerechnet.

Die Anwendung der Massebilanz sollte dem Entwurf zu Folge nur betriebsstättenbezogen erfolgen, d.h. es sollte keine Bilanzierung über Betriebsstätten hinweg möglich sein, und sie sollte durch unabhängige Dritte verifiziert werden. Zudem sollten die Auswirkungen der „polymers only“-Methode im Hinblick auf die Komplementarität des chemischen Recyclings zum mechanischen Recycling und die Verfügbarkeit geeigneter Input-Abfallströme bis zum 30. Januar 2030 durch die Kommission überprüft werden. Im Erwägungsgrund (14) des Entwurfs wurde der Vorrang des mechanischen Recyclings vor dem chemischen Recycling festgestellt.

Für diesen Entwurf gab es im TAC keine qualifizierte Mehrheit, insbesondere das Massebilanzverfahren war umstritten. 18 Mitgliedstaaten haben sich zum Massebilanzverfahren geäußert, davon war eine Mehrheit für die sogenannte „fuel excluded“-Methode.

Zweiter Entwurf eines Durchführungsbeschlusses mit „fuel excluded“-Massebilanzmethode
Auf die Ablehnung der Mitgliedstaaten hin hat die Kommission Mitte Februar 2024 dem TAC einen neuen Entwurf für den Durchführungsbeschluss vorgelegt. Darin schlägt sie die „fuel excluded“-Methode zur Massebilanzierung vor.

Die „fuel excluded“-Methode erlaubt es, einen wesentlich größeren Anteil des Rezyklat-Inputs den aus dem Prozess gewonnenen (Kunst-) Stoffen zuzuweisen. Nur der auf Brennstoffe entfallende Rezyklat-Input wird ausgenommen, die verbleibende theoretische Menge an rezykliertem Inputstoff kann frei auf die verbleibenden Produkte – und damit auch ausschließlich auf die erzeugten Mono- bzw. Polymere als Ausgangsstoff für Kunststoffe – aufgeteilt werden. Der Rezyklatanteil an den erzeugten Kunststoffen kann so höher ausgewiesen werden als tatsächlich Rezyklate in den Kunststoffen enthalten sind.

Des Weiteren schlägt die Kommission eine neue Definition für „post consumer plastic waste“ vor, aus dem die für den Mindestrezyklatanteil zu verwenden Rezyklate gewonnen worden sein müssen. Entgegen der früheren Definition, die nur Abfälle erfasste, die aus in der EU auf den Markt gebrachten Produkten entstanden sind, werden nun auch in Drittstaaten angefallene Abfälle erfasst. Somit können auch Rezyklate aus Drittstaaten für die Erreichung der Mindestrezyklatquoten genutzt werden. Im Übrigen hat die Kommission die Regelungen aus dem ersten Entwurf beibehalten.

Entschließungsantrag des Umweltausschusses zur Ablehnung des Kommissionsvorschlags
Die EU-Abgeordnete Jutta Paulus (Deutschland/Grüne) hat im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments (ENVI) einen Entschließungsantrag eingebracht, der auf die Ablehnung des Durchführungsbeschlusses durch das Parlament zielt.

Zwar hat das Parlament im Komitologieverfahren keine direkte Mitsprache; Art. 11 der Verordnung (EU) 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, sieht jedoch vor, dass neben dem Rat auch das Europäische Parlament die Kommission jederzeit darauf hinweisen kann, dass der Entwurf eines Durchführungsrechtsakts seines Erachtens die im Basisrechtsakt vorgesehenen Durchführungsbefugnisse überschreitet. In diesem Fall überprüft die Kommis-sion den Entwurf unter Berücksichtigung der vorgetragenen Standpunkte und entscheidet, ob sie den Entwurf beibehalten, abändern oder zurückziehen will. Die Entschließung des Parlaments hat also keine bindende Wirkung für die Kommission.

Konkret wird in dem Entschließungsantrag gefordert, dass

  • die Kommission den Vorschlag zurückzieht und einen neuen Vorschlag vorlegt;
  • der neue Vorschlag nicht mehr chemisches Recycling durch Pyrolyse und Gasifizierung regeln bzw. ermöglichen, sondern nur noch chemisches Recycling durch Depolymerisation regeln bzw. ermöglichen soll (benötigt keine Massebilanzierung);
  • sichergestellt wird, dass chemisches Recycling nur komplementär für Abfälle zum Tragen kommt, die nicht mechanisch recycelt werden können;
  • Regelungen zur Berechnung von durch Pyrolyse und Gasifizierung chemisch recycelten Abfällen nur in den Durchführungsrechtsakten zur Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle (Packaging and Packaging Waste Regulation – PPWR) getroffen werden.

Der Entschließungsantrag kritisiert, dass in einem Durchführungsakt zur SUPD so grundlegende und wichtige Regelungen für das Kunststoffrecycling getroffen werden, obwohl der Anwendungsbereich der SUPD im Vergleich zur PPWR sehr klein ist. Auch im Rahmen der PPWR muss die Kommission Durchführungsrechtsakte zur Berechnung der Mindestrezyklatgehalte in Kunststoffverpackungen erlassen. Im Zusammenhang mit dem Erlass der Durchführungsrechtsakte muss die Kommission jedoch auch die verfügbaren Recyclingtechnologien im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Leistung und Umweltverträglichkeit, einschließlich der Qualität des Outputs, der Verfügbarkeit der Abfälle, des Energiebedarfs und der Treibhausgasemissionen sowie anderer relevanter Umweltauswirkungen bewerten. Außerdem verpflichtet die PPWR die Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte, um Nachhaltigkeitskriterien für Kunststoffrecyclingtechnologien festzulegen. Dabei müssen auch Recyclingunternehmen, die sich in Drittländern befinden, Recyclingtechnologien nach vergleichbaren Standards einsetzen und die Kommission muss einen Durchführungsrechtsakt zur Festlegung der Methode für die Bewertung, Überprüfung und Bescheinigung der Gleichwertigkeit der Vorschriften in Drittstaaten mit jenen in der EU vorlegen. Diese Vorgaben enthält die SUPD nicht.

Es ist dem Entschließungsantrag zu Folge daher verfrüht, unangemessen und inkonsequent, eine Methode zur Berücksichtigung des chemischen Recyclings von Getränkeflaschen im Rahmen der SUPD als lex specialis festzulegen, da Nicht-PET-Kunststoffe – anders als bei Verpackungen im Allgemeinen – nur einen minimalen Anteil der Kunststoffgetränkeflaschen ausmachen, ohne die verschiedenen Aspekte zu berücksichtigen, die die Kommission in Bezug auf die Recyclingtechnologien und die Nachhaltigkeit beim Erlass der Durchführungsrechtsakte im Rahmen der PPWR zu beachten hat. Kritisiert wird im Entschließungsantrag auch, dass sich die SUPD nur auf Getränkeflaschen bezieht, wobei die überwiegende Mehrheit der Getränkeflaschen aus PET bestehe, was sich für chemisches Recycling nicht eigne. Daher sei es nicht relevant, Massebilanzverfahren für chemisches Recycling für Getränkeflaschen im Rahmen der SUPD zu regeln.

Dem Entschließungsantrag liegt unter anderem auch die Befürchtung zu Grunde, dass durch den Durchführungsrechtsakt und die Festlegung der „fuel excluded“-Methode als Massebilanzverfahren für das chemische Recycling der Vorrang des mechanischen Recyclings gegenüber dem chemischen Recycling untergraben werden könnte. Es wird die Gefahr gesehen, dass es zu einer Wettbewerbsverzerrung zu Lasten des mechanischen Recyclings, zur Umleitung der Abfallströme in einige wenige (chemische) Recyclinganlagen, d.h. zu einem Oligopol, und zu einem Vertrauensverlust der Verbraucher kommen könnte.

Alles in allem überschreitet die Kommission dem Entschließungsantrag zu Folge mit dem vorgeschlagenen Durchführungsbeschluss die Ermächtigungsgrundlage der SUPD insofern, als die Förderung des unter ökologischen Gesichtspunkten nachteiligeren chemischen Recyclings dem Ziel der SUPD widerspreche, die Kreislaufwirtschaft zu fördern.

Der Umweltausschuss hat den Entschließungs-antrag am 18. April 2024 mit 26 zu 24 Stimmen bei 3 Enthaltungen angenommen. Die Europäische Volkspartei und die Renew-Fraktion hatten sich zuvor gegen den Entschließungsantrag ausgesprochen, Sozialdemokraten und Grüne wollten ihn unterstützen.

Da es unwahrscheinlich schien, dass der Entschließungsantrag im Plenum des EP gegen die Stimmen der EVP und der Renew-Fraktion angenommen werden würde, hat sich die Grüne Fraktion um einen Kompromiss mit der EVP bemüht und einen Kompromiss-Änderungsantrag zum eigenen Entschließungsantrag in die Abstimmung im Plenum eingebracht.

Dem Kompromiss zu Folge erkennt das Parlament an, dass die Annahme der „fuel excluded“-Massebilanzmethode im Rahmen der SUPD weitgehend mit deren Bestimmungen und denen der PPWR in Einklang gebracht werden könnte, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:

  • die Komplementarität des chemischen Recyclings, d. h., dass das chemische Recycling tatsächlich nur Kunststoffabfälle betrifft, die nicht mechanisch recycelt werden können, wird im Durchführungsrechtsakt oder in einem anderen Rechtsakt vor oder zeitgleich mit der Annahme des SUPD-Durchführungsrechtsakts rechtsverbindlich sichergestellt;
  • der Durchführungsrechtsakt wird mit Blick auf die entsprechenden Regelungen der PPWR nach vollständiger Bewertung der verschiedenen in Artikel 7 Absatz 7 Unterabsatz 2 PPWR festgelegten Aspekte und parallel zur Annahme der Bestimmungen gemäß Artikel 7 Absatz 7a bzw. 7b PPWR überarbeitet.

Das Plenum des EP hat in seiner Sitzung am 24. April 2024 zwar diesen Kompromissantrag angenommen, es hat den Entschließungsantrag als Ganzes jedoch mit 339 zu 243 Stimmen bei 47 Enthaltungen abgelehnt.

Bewertung
Der BDE unterstützt das chemische Recycling ausdrücklich als komplementäre Technik zum Recycling von Kunststoffen, die nicht mechanisch recycelt werden können und bislang thermisch verwertet oder gar deponiert werden. Auch hat sich der BDE zusammen mit dem Verband der Chemischen Industrie VCI und PlasticsEurope Deutschland e.V. in dem gemeinsamen Leitbild zu einer Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen „Kunststoffkreisläufe intelligent schließen“ mit der „fuel excluded“-Massebilanzmethode für einen Übergangszeitraum einverstanden erklärt – jedoch nur in Verbindung mit der rechtsverbindlichen Regelung des Vorrangs des mechanischen Recyclings.

An einer solchen gesetzlichen Vorrangstellung des mechanischen Recyclings fehlt es indes. Leider konnte sich das Europäische Parlament in den Trilogverhandlungen zur PPWR nicht mit seiner Forderung durchsetzen, die Definition der recyclinggerechten Gestaltung („design for recycling“) in Art. 3 PPWR um einen Zusatz zu ergänzen, wonach dem mechanischen Recy-cling der Vorrang bei der recyclinggerechten Gestaltung von Verpackungen zu geben ist.

Der BDE hat die Sorge, dass es ohne eine rechtsverbindliche Vorrangstellung des me-chanischen Recyclings mit der Festlegung der „fuel excluded“-Methode zu einer Wettbewerbsverzerrung zu Lasten des mechanischen Recyclings und zu einer Umlenkung von Abfallströmen, die mechanisch recycelt werden könnten, in das chemische Recycling kommen könnte.

Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten des mechanischen Recyclings drohen, da es das „fuel excluded“-Massebilanzverfahren erlaubt, den Rezyklatinput anteilsmäßig frei den zur Kunststoffherstellung nutzbaren Poly-/Monomeren zuzuweisen und so die Ausbeute an Recyclingkunststoff hochzurechnen. Die aus dem chemischen Recycling gewonnenen Kunststoffe würden jedoch tatsächlich überwiegend aus (fossilen) Primärstoffen bestehen und hätten eine entsprechende hohe Qualität, weshalb sie von den kunststoffverarbeitenden Betrieben gegenüber mechanisch recycelten Kunststoffen bevorzugt nachgefragt würden.

Darüber hinaus droht eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten des Recyclings in der EU durch Importe billiger Rezyklate aus Drittstaaten, insbesondere aus Asien, wobei diese Rezyklate deutlich günstiger sind, weil sie entweder unter wesentlich lockereren Umweltschutzbestimmungen produziert werden als Rezyklate in der EU oder weil es sich tatsächlich gar nicht um Rezyklate handelt, sondern um falsch deklarierte Neuware.  Insofern sieht der BDE es – wie der Umweltausschuss des Parlaments – ausgesprochen kritisch, dass der Vorschlag der Kommission für den SUPD-Durchführungsrechtsakt keine Schutzmechanismen vorsieht, wie sie für den Durchführungsrechtsakt zur PPWR vorgesehen sind.

Eine Umlenkung von mechanisch recyclebaren Abfällen in das chemische Recycling droht aus Sicht des BDE nicht nur aufgrund der besseren Vermarktbarkeit der chemisch recycelten Kunststoffe, sondern insbesondere durch die von der Industrie geplanten Kapazitäten für chemisches Recycling. So beabsichtigt die Kunststoffindustrie, bis 2030 2,8 Mio. Tonnen chemisch recycelte Kunststoffe herzustellen. Das entspricht einem Bedarf an ca. 5,6 Mio. Tonnen Kunststoffabfällen als Input . Bei einem erwarteten Gesamtkunststoffabfallaufkommen 2030 von ca. 25 Mio. Tonnen entspräche der Input für chemisches Recycling mehr als 25% der Gesamtkunststoffabfallmenge. Es liegt auf der Hand, dass dann auch mechanisch recyclebare Kunststoffabfälle dem chemischen Recycling zugeführt werden. So hat auch das Joint Research Centre der Europäische Kommission festgestellt, dass offen sei, ob das chemische und das mechanische Recycling nicht um ähnlich hochwertige Abfälle miteinander konkurrieren .

Dabei ist in umweltpolitischer Hinsicht zu beachten, dass das chemische Recycling eine deutlich schlechtere Umweltbilanz als mechanisches Recycling hat. Werden beim mechanischen Recycling 0,311 Kg CO2-Äquivalente pro Kilogramm Rezyklat emittiert, so sind es beim chemischen Recycling 2,91 Kg CO2-Äquivalente pro Kilogramm Rezyklat.

Insofern teilt der BDE die Bedenken, die der ENVI-Ausschuss mit dem Entschließungsantrag zum Ausdruck gebracht hat und begrüßt es sehr, dass das Plenum des EP den Änderungsantrag zum Entwurf der Entschließung angenommen hat. Damit hat das Europäische Parlament erneut deutlich gemacht, dass es eine rechtsverbindliche Priorisierung des mechanischen Recyclings und Maßnahmen zum Schutz des Recyclings in der EU vor Wettbewerbsverzerrungen für erforderlich hält.

Der BDE hofft, dass die Bedenken des Parlaments bei der Kommission und den Mitgliedstaaten Beachtung finden und der finale Entwurf, den die Kommission den Mitgliedstaaten zur Abstimmung vorlegt, um klare Regelungen zum Vorrang des mechanischen Recyclings und zum Schutz des Recyclings in der EU vor unfairem Wettbewerb aus Drittstatten ergänzt wird.

 

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Dr. Christian Suhl

Geschäftsführer / Syndikusanwalt, Leiter der Brüsseler Vertretung