Net Zero Industry Act

Formelle Annahme durch das Europäische Parlament und den Rat der EU

Am 25. April 2024 wurde die Netto-Null-Technologien-Verordnung (Net Zero Industry Act – NZIA) in der letzten Plenarsitzung der laufenden Legislatur vom Europäischen Parlament formell angenommen. Am 27. Mai folgte auch die notwendige formelle Zustimmung der Mitgliedstaaten im Rat der EU. Damit wird die Verordnung in den kommenden Wochen im Amtsblatt der EU veröffentlicht. 20 Tage nach dieser Veröffentlichung wird sie in Kraft treten. Der NZIA hat das Gesetzgebungsverfahren damit nahezu in Rekordzeit durchlaufen: erst im März 2023 hatte die Kommission ihren Vorschlag veröffentlicht, weniger als ein Jahr später, im Februar 2024, kamen die Trilogverhandlungen zu einem Ende.

 

Wesentliche Inhalte
Der Net Zero Industry Act ist als eine der Säulen des Green Deal Industrieplanes Kernbestandteil der europäischen Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act, der Förderungen für grüne Technologien in einem Ausmaß von 369 Milliarden US-Dollar vorsieht. Wie auch sein US-amerikanisches Vorbild verfolgt der Net Zero Industry Act das Ziel, Net-Zero-Technologies (Netto-Null-Technologien), die keine oder geringe Emissionen verursachen und  einen wesentlichen Beitrag zum grünen Wandel der Industrie leisten, in priorisierter Form zu finanzieren. Strategische Projekte, die sich gerade mit dem Ausbau dieser Schlüsseltechnologien befassen, sollen von einer solchen priorisierten Finanzierung ebenso profitieren wie von beschleunigten Genehmigungsverfahren.

Eine Auflistung der förderungsfähigen Technologien findet sich im Art. 4 der Verordnung. Hiernach gehören sämtliche Technologien zur Erzeugung erneuerbarer Energie gemäß der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) zu den förderfähigen Netto-Null-Technologien (Art. 4,  Abs. 1,  Buchstabe l). Ebenso gehören zu diesen Technologien sämtliche Technologien zur Abscheidung, Speicherung, zu dem Transport und zur Nutzung von CO2  (Art. 4  Abs. 1, Buchstaben g und q).

Im Hinblick auf die Finanzierung derartiger Technologien bleibt es jedoch dabei, dass, wie auch schon im Kommissionsvorschlag, keine konkreten Finanzmittel aus EU-Töpfen vorgesehen sind. Der NZIA enthält – parallel zum Critical Raw Materials Act – lediglich Vorschriften zur Koordinierung der Finanzierung (Art. 19). Diesen Vorschriften zufolge soll eine neu einzurichtende „Plattform für ein Netto-Null-Europa“, welche sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten sowie der Europäischen Kommission zusammensetzt, auf Antrag eines Unternehmens, das ein Projekt für Netto-Null-Technologien plant (Projektträger), dieses zu der Finanzierung seines strategischen Projektes beraten. Konkrete Finanzierungsmittel aus vorhandenen oder neu einzurichtenden EU-Finanzierungsinstrumenten sind hingegen nicht vorgesehen.

Für Projekte zur Fertigung von Netto-Null-Technologien gelten EU-weit beschleunigte Genehmigungsverfahren. Die Maximaldauer für nationale Genehmigungsverfahren soll, wie von Kommission und Rat gefordert, für Projekte zur Fertigung von Netto-Null-Technologien, die eine jährliche Fertigungskapazität von mehr als einem Gigawatt aufweisen, 18 Monate betragen. Unter Fertigungskapazität versteht man hierbei zunächst die Gesamtleistung, welche die im Rahmen eines Projektes hergestellten Netto-Null-Technologien erbringen. Soweit sich ein Projekt mit der Herstellung von Komponenten oder Maschinen befasst, die ihrerseits der Herstellung von Endprodukten dienen, so bezieht sich der Begriff Fertigungskapazität auf die Gesamtleistung der hergestellten Endprodukte. Kleinere Projekte, die sich mit Netto-Null-Technologien mit einer Fertigungskapazität unter einem Gigawatt befassen, sollen in max. 12 Monaten genehmigt werden (Art. 9). In beiden Fällen ist eine ausnahmsweise Verlängerung dieser Fristen um maximal drei Monate zulässig, sofern die Art oder die Komplexität eines Projektes dies erfordern.


Bewertung
Ebenso wie beim Critical Raw Materials Act ist erfreulich, dass man sich noch in dieser Legislaturperiode über einen Net Zero Industry Act einigen konnte. Vor dem Hintergrund, dass die Kommissionsvorschläge für beide Rechtsakte erst zum Ende der jetzigen Legislaturperiode veröffentlicht wurden (16. März 2023), ist es für die Stärkung des Industriestandortes Europa entscheidend, dass diese zentralen Rechtsakte des Green Deal Industrieplanes zeitnah veröffentlicht werden.

Allerdings hätte die Verordnung aus Sicht des BDE deutlich ambitionierter ausfallen müssen, um die damit verfolgten Ziele auch tatsächlich zu erreichen. Dies betrifft allen voran die (nicht vorgesehene) Zurverfügungstellung von Unionsmitteln für die Finanzierung strategischer Projekte für den grünen und digitalen Wandel. Die Frage nach den Finanzierungsmöglichkeiten war ein Dauerthema im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens. So sah der Bericht des federführenden Industrieausschusses (ITRE) noch vor, dass strategische Projekte zur Produktion von Netto-Null-Technologien für den Erhalt von Unionsmitteln gemäß Art. 9 des Vorschlages für eine STEP-Verordnung infrage kommen sollten (siehe Europaspiegel 10/2023). Diese Verordnung zielt auf die Schaffung einer Plattform für strategische Technologien für Europa („Strategic Technologies for Europe Platform“, STEP). Unternehmen sollen aus bestehenden EU-Instrumenten eine zügige finanzielle Unterstützung für ihre Investitionen erhalten können. Dass man sich letztlich beim NZIA nicht auf einen Verweis auf die STEP-Verordnung einigen konnte, ist sinnbildlich für die Schwierigkeit der Mobilisierung dringend notwendiger Finanzmittel aus vorhandenen EU-Töpfen.

Auch bei der Maximaldauer von Genehmigungsverfahren wäre eine Verkürzung der im Kommissionsvorschlag vorgesehenen Fristen notwendig gewesen, um strategische Projekte möglichst schnell in die Tat umsetzen und betroffenen Unternehmen Planungssicherheit geben zu können. Zumindest ist es jedoch nicht – im Unterschied zur finalen Fassung des Critical Raw Materials Act – zu einer Verlängerung der im Kommissionsvorschlag vorgesehenen Fristen gekommen.

Positiv ist, dass es nur noch eine Kategorie förderungsfähiger Technologien gibt: Zuvor wurden sie unterteilt in Net-Zero-Technologien und strategische Net-Zero-Technologien, von denen Letztere priorisiert behandelt werden sollten. Eine solche Unterteilung wäre jedoch überflüssig gewesen und hätte die Systematik der Verordnung auf unnötige Art und Weise verkompliziert. Im Sinne einer Technologieoffenheit sollten sämtliche Technologien zur Förderung des grünen Wandels und der Digitalisierung zu den Netto-Null-Technologien zählen.

Auch ist zu begrüßen, dass alle Technologien zur Förderung erneuerbarer Energien sowie sämtliche Technologien zur Abscheidung, Speicherung, zu dem Transport und zur Nutzung von CO2 als Netto-Null-Technologien gefördert werden sollen. Damit wird nicht nur die erforderliche Konvergenz mit der Erneuerbare-Energien-Richtlinie geschaffen, sondern auch sichergestellt, dass auf EU-Ebene keine Priorisierung innerhalb der erneuerbaren Energien erfolgt. Zudem wird hierdurch auch die erforderliche Technologieoffenheit gewahrt.

 

Zeitplan
Nach der formellen Annahme durch das Parlament sowie den Rat wird der Verordnungstext innerhalb der nächsten Wochen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und 20 Tage nach der Veröffentlichung in Kraft treten. Der NZIA wird als Verordnung unmittelbar in jedem EU-Mitgliedstaat gelten und wirksam sein.

 

Download BDE/VOEB Europaspiegel Mai 2024

Michael Iordache

Legal Advisor, Europareferent - Wettbewerb, Binnenmarkt, Steuern und Abfallverbringung