Kunststoffgranulatverlust

Rat und Europäisches Parlament einigen sich auf Gesetzestext

Das Europäische Parlament, der Rat der EU und die Europäische Kommission haben sich in der Nacht vom 08. auf den 09. April im Trilog auf einen Kompromisstext zum Vorschlag der Kommission über eine Verordnung zur Freisetzung von Kunststoffgranulat zur Verringerung der Umweltverschmutzung durch Mikroplastik geeinigt.  Der Verordnungstext, der damit nur noch formal angenommen werden muss, lässt Unternehmen deutlich mehr Gestaltungsspielraum, als es im Trilog kurzzeitig zur Debatte stand.

 

Hintergrund
Mikroplastik, das jährlich im sechsstelligen Tonnage-Bereich unbeabsichtigt in die Umwelt gelangt, stellt in der EU ein erhebliches ökologisches Problem dar. Freigesetztes Kunststoffgranulat ist dabei die drittgrößte Quelle.

Ziel des Verordnungsvorschlags der Europäischen Kommission ist es daher, Unternehmen zur Erstellung von sog. Risikobewertungsplänen zu verpflichten, die den Verlust von Kunststoffgranulaten verringern, bzw. eindämmen sollen. Art und Umfang dieser Pläne war wesentlicher Gegenstand der Diskussionen im Gesetzgebungsverfahren (siehe zum Kommissionsentwurf Europaspiegel Oktober 2023; zum Berichtsentwurf des Europäischen Parlaments Europaspiegel Februar 2024 zur Allgemeinen Ausrichtung des Rates Europaspiegel Dezember 2024).

Während der ursprüngliche Kommissionsentwurf die Ausgestaltung dieser Risikobewertungspläne beinahe gänzlich ins Ermessen der Unternehmen stellte, enthielt der Vorschlag des Parlamentes strikte pauschale Vorgaben, die unabhängig von Größe des Betriebs und der Branche umzusetzen gewesen wären. Die Allgemeine Ausrichtung des Rates sah einen Kompromiss vor, der zwischen verpflichtenden Maßnahmen und solchen, die nur zu „erwägen“ sind, unterschieden hat; die Ratsposition hat sich im Trilog weitestgehend durchgesetzt.

Auch die Definition von „Kunststoffgranulat“ war ein wesentliches Thema im Trilog. Der Bericht des Europäischen Parlaments sah vor, Verluststoffe sämtlicher Herstellungsprozesse, wie etwa aus der Reifenproduktion, in den Anwendungsbereich der Verordnung aufzunehmen. „Kunststoffgranulate“ sind aber nunmehr (nur) solches “polymerhaltiges Formmaterial, unabhängig von Gestalt, Form und Größe, das bei der Herstellung von Kunststoffprodukten anfällt”.

Wesentliche Inhalte
Risikobewertungspläne
Das Kernstück der Verordnung befindet sich in Anlage 1 und beschreibt den Inhalt und Umfang der Risikobewertungspläne, die von den Unternehmen zu erstellen sind.

Grundsätzlich ist ein Lagebild der jeweiligen Anlage zu erstellen mit dem entsprechenden Standort und einer Kennzeichnung solcher Betriebsbereiche, an denen Granulate potenziell freigesetzt werden können.  Bereiche im Betrieb mit einem „erhöhten Freisetzungsrisiko“ sind gesondert zu kennzeichnen. Es müssen auch die Bereiche in unmittelbarer Umgebung der Anlage gekennzeichnet werden, wobei der Verordnungstext in Form der Trilog-Einigunghier eine Definition der „unmittelbaren Umgebung“ leider vermissen lässt.

Anzugeben ist auch die Menge der jährlich gehandhabten Kunststoffgranulate sowie eine Schätzung der Menge von Freisetzungen an den jeweiligen Betriebsstellen in einer Anlage.

Vor allem müssen die Risikobewertungspläne die konkreten Maßnahmen darstellen, die Unternehmen umsetzen wollen, um Freisetzungen von Kunststoffgranulaten vorzubeugen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen verpflichtenden Maßnahmen und solchen Maßnahmen, die nur „zu erwägen“ sind, wenn und soweit ein erhöhtes Freisetzungsrisiko besteht. Dies war eines der zentralen Diskussionspunkte im Gesetzgebungsverfahren.

Verpflichtende Maßnahmen sind nach dem Kompromissentwurf nunmehr:

  • Zur Vermeidung:
    Verpackungen müssen so gestaltet sein, dass sie Erschütterungen, Wetterbedingungen und sonstigen Umständen, mit denen während des Transports zu rechnen ist, standhalten. Zudem muss das Material dem Fassungsvermögen angepasst und entsprechend verschlossen, gegebenenfalls durch Einlagen, sein.
  • Zur Eindämmung:
    In Bereichen einer Anlage mit hohem Verlustrisiko müssen Auffangvorrichtungen, wie Auffangwannen oder unterirdische Rückhaltetanks, angebracht werden. An unterirdischen Entwässerungssystemen sind Abflussabdeckungen anzubringen.
  • Zur Reinigung:
    Staubsauger mit ausreichender Kapazität für den Innen- und Außenbereich sowie weiteres Reinigungswerkzeug; Entsorgungsbehälter und Säcke für gesammelte Pallets.


„In Erwägung zu ziehen“ sind:

  • Zur Vermeidung: 
    Vakuumdichtungen an Schläuchen und Rohrleitungen sowie eventuelle Schutzvorrichtungen an Verladestellen sollen Beschädigungen von Verpackungen vermeiden. Zur Vermeidung von Kunststoffgranulat-Staub können besondere Filter installiert werden.
  • Zur Eindämmung: 
    In Bereichen einer Anlage mit besonderem Verlustrisiko sollen nach Möglichkeit „sekundäre Auffangvorrichtungen“ angebracht werden. Dort wo möglicherweise Überschwemmungen in der Anlage drohen, sollen nach Möglichkeit besondere Filtersysteme angebracht werden.
  • Zur Reinigung: 
    Nach Möglichkeit sollen auch spezielle Industriestaubsauger zur Reinigung eingesetzt werden und es soll auch erwogen werden, Reinigungen im Bereich der unmittelbaren Umgebung einer Anlage vorzunehmen.

Zudem haben die Risikobewertungspläne zu beschreiben, wie Dritte in den Umgang mit Verladeeinrichtungen einzuweisen sind, wann regelmäßige Inspektionen stattfinden und wie sichergestellt werden kann, dass auch bei Verladungen außerhalb einer Anlage ein Verlust von Granulaten vermieden werden kann.

Größere Unternehmen, sowie KMU, die jährlich eine Menge von über 1.500 Tonnen Granulat handhaben, müssen pro Jahr ein internes Assessment zur Prüfung der Einhaltung ihrer Risikobewertungspläne durchführen. Sonstige Unternehmen sind verpflichtet, ihre Pläne alle fünf Jahre zu erneuern.

Für Unternehmen, die bereits Umweltmanagementsysteme nach der Verordnung (EU) 1221/2009 eingerichtet und umgesetzt haben, kann außerdem eine Gleichwertigkeitsprüfung durchgeführt werden, die alle drei Jahre zu wiederholen ist und die Unternehmen dann weitestgehend von den spezifischen Pflichten der Kunststoffgranulatverordnung befreit.

Anwendungsbereich
Grundsätzlich gilt die Verordnung für Wirtschaftsakteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette, die jährlich eine Menge von über 5 Tonnen Kunststoffgranulat handhaben sowie für Frachtführer aus Drittländern, die Granulate in der EU befördern.

Die Regelungen der Verordnung sind 24 Monate nach ihrem Inkrafttreten anzuwenden. Ab dann gilt auch eine Pflicht der Unternehmen, sich von der zuständigen Behörde zertifizieren zu lassen, dass die Maßnahmen, die im Risikobewertungsplan festgelegt wurden, auch effektiv umgesetzt worden sind. Der zeitliche Rahmen dieser Zertifizierungspflicht richtet sich allerdings nach der Größe des Unternehmens:

  • Große Unternehmen (> 250 Mitarbeitende) müssen die Umsetzung 24 Monate nach Inkrafttreten der Verordnung zertifizieren. Danach muss das Zertifikat alle drei Jahre erneuert werden.
  • Für mittlere Unternehmen (51 – 249 Mitarbeitende) gilt eine Zertifizierungspflicht nach 36 Monaten mit einer jeweiligen Erneuerung alle vier Jahre.
  • Kleine Unternehmen (50 oder weniger Mitarbeitende) benötigen nach 60 Monaten ein Zertifikat. Eine Erneuerung ist nicht erforderlich, allerdings bestehen einige Sonderregelungen über den regelmäßigen Informationsaustausch mit Behörden.


Wer die zuständige Zertifizierungsstelle ist, wird durch die Mitgliedstaaten selbst festgelegt. Für die Prüfung von Umweltmanagementsystemen nach der ISO 14001 ist aktuell die Deutsche Akkreditierungsstelle GmbH in Berlin zuständig.


Bewertung
Der BDE sieht die Verordnung kritisch. Zwar mag es umweltpolitisch durchaus eine sinnvolle und begrüßenswerte Maßnahme sein, die Freisetzung von Mikroplastik und Kunststoffgranulaten in die Umwelt zu verhindern. Die Verordnung schafft jedoch einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand für die betroffenen Unternehmen und ignoriert dabei das wirtschaftliche Eigeninteresse von Unternehmen, die mit Kunststoffgranulaten als Ware umgehen, einen Verlust von Kunststoffen zu vermeiden. Gerade für Unternehmen der Recyclingindustrie sind Kunststoffgranulate das Produkt, das im Zentrum ihrer wirtschaftlichen Aktivität steht und mit dem sie Geld verdienen, sodass eine ganz erhebliche intrinsische Motivation der Unternehmen besteht, Kunststoffgranulatverlusten vorzubeugen und diese zu verhindern.  Einer zusätzlichen Verordnung mit der Pflicht, Risikobewertungspläne zu erstellen und diese zertifizieren zu lassen bedarf es daher aus Sicht des BDE nicht. Positiv zu bewerten ist jedoch, das Schlimmeres verhindert werden konnte: das Parlament hatte sich für einen umfangreichen Katalog verpflichtender Maßnahmen ausgesprochen – der Beurteilungsspielraum, der Unternehmen bei der vorläufigen Einigung im Trilog nunmehr eingeräumt wird, ist daher als positiv zu beurteilen.

 

Download BDE/VOEB Europaspiegel Juli 2025

Yannick Müller

Legal Advisor, Europareferent für Binnenmarkt, Abfall- & Umweltrecht