Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie im europäischen Kontext

Die Ressource Abfall zirkuliert im Binnenmarkt. Nationale Strategien müssen daher zwingend durch europäische Vorgaben flankiert werden, um sicherzustellen, dass die Vorteile der Kreislaufwirtschaft eine Wirkung in ganz Europa entfalten können.

Im März 2020 legte die Europäische Kommission einen europäischen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft mit 35 Maßnahmeplänen vor. Die Pläne, von denen einige bereits umgesetzt sind, sowie weitere im Entscheidungsprozess stehen und sich teilweise noch in der Vorbereitung befinden befindlich, sind insgesamt zu begrüßen. Einige wichtige Aspekte sind bislang jedoch nicht oder nur unzureichend aufgegriffen worden.

1. Verbot der Deponierung unbehandelter Siedlungsabfälle ab 2030
Derzeit werden in der EU im Durchschnitt noch über 40 Prozent der unbehandelten Siedlungsabfälle deponiert. Zehn Mitgliedstaaten übertreffen diese Zahl zum Teil erheblich und kommen auf Anteile zwischen 50 Prozent und 93 Prozent. Im Jahr 2030 soll europaweit eine verbindliche Recyclingquote von 65 Prozent gelten, die Deponierung von unbehandeltem Siedlungsabfall soll zu diesem Jahr nur noch bei 10 Prozent pro Mitgliedsland liegen.

Recycling von Abfällen ist heute teurer als deren Deponierung oder thermische Verwertung. Zudem stehen Recyclingprodukte oft im Wettbewerb mit kostengünstigeren Primärrohstoffen. Nur mit flankierenden Maßnahmen wie der zeitnahen Beendigung der Deponierung unbehandelter Siedlungsabfälle gelingt eine Förderung von Kreislaufwirtschaft und Recycling. Solange aber die Möglichkeit besteht, Abfälle billig zu beseitigen, wird diese genutzt werden.

Damit wird der Aufbau von Recyclinginfrastruktur verzögert und Investitionen in die Entwicklung neuer und besserer Recyclingtechnologien verhindert. Zudem ist die Deponierung nur die scheinbar günstigste Entsorgungsoption: Denn neben über Jahrzehnte anfallenden Altlasten und Nachsorgekosten entstehen große Mengen an Methangasen, die 25-mal klimaschädlicher sind als CO2. Die dadurch verursachten finanziellen Belastungen werden in den Entsorgungskosten nicht widergespiegelt.

Schließlich werden wertvolle Ressourcen aus dem Kreislauf ausgeschleust. So gingen 2018 beispielsweise europaweit 35 Millionen Tonnen an Edelmetallen aufgrund der Beseitigung von Elektro- und Elektronikaltgeräten verloren. Zur Erreichung eines europaweiten Deponieverbots sollte eine deutsche Strategie zur Kreislaufwirtschaft folgende Schritte beinhalten:

  • Im Zuge der aktuellen Revision der Industrieemissionsrichtlinie-RL (IED) sowie der anstehenden Revision der Abfallrahmen-RL sollten Weichenstellungen für ein zeitnahes Deponieverbot unbehandelter Siedlungsabfälle vorgenommen werden (keine Ausgliederung des Regelungsgehalts der geltenden DeponieRL in die IED und Anpassung der AbfallRL, insbesondere bezüglich der Abfallhierarchie).
  • Im Rahmen der Überprüfung der DeponieRL im Jahr 2023 ist einzufordern, ab 2030 ein vollständiges Deponieverbot für unbehandelte Siedlungsabfälle einzuführen sowie bereits ab 2027 ein Deponieverbot für recyclefähige Abfälle.
  • Im Rahmen der neuen Förderperiode für die europäischen Strukturfonds ab 2028 sollten mehr Gemeinschaftsmittel für den Aufbau von Recyclinginfrastruktur bereitgestellt werden.

2. Vorbehandlung der Abfälle zur thermischen Verwertung nötig
Um so viele Rohstoffe wie möglich aus der Rohstoffquelle Abfall zu gewinnen, sollten alle Abfälle, soweit dies technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist, vor der thermischen Verwertung mechanisch vorbehandelt werden.

Die Abfallrahmenrichtlinie sieht vor, dass bis 2030 mindestens 60 Prozent der Siedlungsabfälle wiederverwendet und recycelt werden müssen sowie der nicht-recycelbare Restabfall auf die Hälfte zu reduzieren ist. Seit 2004 haben sich in der EU die Restabfälle um 16 Prozent verringert. Dennoch fiel 2020 noch eine Menge von 113 Millionen Tonnen an, die bis in zehn Jahren auf die Hälfte – also 56,5 Millionen Tonnen – zurückgehen müsste. Tatsächlich ist aber das absolute Aufkommen an Restabfall trotz steigender Recyclingraten über die letzten Jahre stabil geblieben. Angesichts der aktuellen Recyclingdurchschnittsquote von 48 Prozent kann dieser Anstieg nicht kompensiert werden.

Entsprechend der Abfallhierarchie sind vorrangig Maßnahmen zur Abfallvermeidung und Wiederverwendung geeignet, Restabfall zu reduzieren. Daneben können aber insbesondere auch über die Sortierung und Vorbehandlung von zur thermischen Verwertung bestimmten Abfällen weitere maßgebliche Mengen an stofflich verwertbarem Material aus dem Restabfall gewonnen und damit dessen Anteil gesenkt werden. Erfolgreiche Sortierung in Mitgliedsstaaten sollte als Vorbild dienen.

3. Verlässliche Rahmenbedingungen für thermische Verwertung als integraler Bestandteil der Abfallbewirtschaftung
Das europäische und nationale Abfallrecht der letzten 30 Jahre zeigt, dass die thermische Verwertung ein notwendiger Baustein beim Aufbau einer Kreislaufwirtschaft ist. Seit einigen Jahren ist jedoch zu beobachten, dass die Thermik in Brüssel an Akzeptanz verliert. Eine zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft kommt ohne energetische Verwertung nicht aus, denn nicht alle Abfälle sind hochwertig recycelbar. Durch energetische Verwertung kann das Energiepotential solcher Abfälle für die Energieerzeugung genutzt, fossile Energieträger teilweise ersetzt und klimaschädliche CO2-Emissionen eingespart werden.

Die positive Bilanz der energetischen Verwertung wird in den aktuellen politischen Diskussionen nicht mehr angemessen berücksichtigt. Als Folge zeichnen sich kontraproduktive Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingung für die thermische Verwertung ab. Nach der 2020 verabschiedeten Taxonomie-Verordnung ((EU) 2020/852), die technisch detailliert festlegen will, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten künftig nicht als nachhaltig gelten, soll die energetische Verwertung als nicht nachhaltig eingestuft werden. Damit drohen insbesondere Investitionen in die thermische Abfallbehandlung eine Benachteiligung beim Kapitalzugang. Zudem besteht die Gefahr, dass künftige europäische Regulierungen, abfall- wie finanztechnischer Natur, an der einmal etablierten EU-Taxonomie ausgerichtet werden.

Im neuen EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft (KOM (2020/0098)), der die Verabschiedung von über 35 Maßnahmen ankündigt, über die eine zirkuläre Wirtschaft aufgebaut werden soll, fordert der europäische Gesetzgeber kein europaweites Deponieverbot – ein Schlüsselelement für das Gelingen des Vorhabens – setzt sich aber für eine Beschränkung der thermischen Behandlung ein. Der europäische Gesetzgeber möchte die Thermik darüber hinaus in ein überarbeitetes Emissionshandelssystem einbeziehen, ohne den Besonderheiten der Abfallentsorgung Rechnung zu tragen.

Daher muss Deutschland auf europäischer Ebene darauf hinwirken, dass:

  • im Rahmen des zweiten Delegierten Rechtsaktes zur Taxonomie-VO die thermische Behandlung als nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit oder zumindest als „Übergangstätigkeit“ (eine Tätigkeit, für die es keine technisch oder wirtschaftlich machbare CO2-Alternative gibt) eingestuft wird;
  • die Entscheidung der Einbeziehung der thermischen Verwertung in den europäischen Emissionshandel nur auf der Grundlage einer Gesetzesfolgenabschätzung getroffen werden darf und auf nationale Alleingänge verzichtet wird, da diese einerseits zu Wettbewerbsverzerrungen führen und andererseits keine Lenkungswirkung zugunsten des Recyclings entfalten würden.

4. Zielkonflikt zwischen Stoffpolitik und Kreislaufwirtschaft lösen
Die Europäische Kommission will über die Null-Schadstoff-Strategie, die Chemikalienstrategie und den geplanten Revisionen der REACH- und CLP-Verordnungen im Rahmen des Green Deals ein Null-Schadstoffziel innerhalb der EU verwirklichen. Chemikalien, Materialien und Produkte sollen so sicher und nachhaltig konzipiert werden, dass ihre Gestaltung einen nicht toxischen Lebenszyklus der Produkte gewährleistet.

Dabei wird das Null-Schadstoff-Ziel jedoch nicht als absolute Schadstofffreiheit definiert, sondern als ein Verschmutzungsniveau, das „nicht mehr schädlich“ für die menschliche Gesundheit und die Umwelt ist. Gleichzeitig strebt die Kommission mit der Vorlage des Aktionsplans Kreislaufwirtschaft die Schaffung einer geschlossenen Kreislaufführung von Ressourcen und damit die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch an.

Zwischen diesen beiden politischen Schwerpunkten zeichnet sich ein zunehmender Zielkonflikt ab, der zu Lasten der Kreislaufwirtschaft geht. Durch die Verschärfung von Grenzwerten von Schadstoffen, die weder nach risikobasiertem Ansatz noch umfassender Gesetzesfolgenabschätzung erfolgt (Beispiel POP-Verordnung), werden zu entsorgende Produkte dem Kreislauf entzogen und müssen stattdessen energetisch verwertet oder beseitigt werden. Fehlende Übergangsfristen, die für die Entwicklung neuer Recyclingtechnologien erforderlich wären, verstärken den Ausschleusungstrend wertvoller Ressourcen.

Um die Ziele der Schadstoffminimierung und der Kreislaufwirtschaft parallel zu erreichen, müssen jedoch bestimmte Anforderungen erfüllt werden: Schadstoffbeschränkungen sind grundsätzlich zu entscheiden auf der Grundlage

  • eines risikobasierten Ansatzes anstatt eines generischen Ansatzes (intrinsische Stoffeigenschaften);
  • einer umfassenden Gesetzesfolgenabschätzung, die die erwogenen Maßnahmen im Lichte der Ziele der Nullschadstoff- und Stoffpolitik einerseits und der Ziele der Kreislaufwirtschaftspolitik andererseits gegeneinander abwägt;
  • einer besseren Kontrolle von importierten Waren, um sicherzustellen, dass sie den europäischen Vorgaben bezüglich der Stoffbeschränkungen genügen;
  • angemessener Übergangsfristen bis zum Inkrafttreten neuer Stoffbeschränkungen, um Entwicklungen von und Investitionen in den Aufbau neuer Technologien zu ermöglichen
  • einer zügigen Einführung verbindlicher Öko-Design-Vorschriften für die entsprechenden betroffenen Produkte;
  • einer damit einhergehenden umfassenden Verfügbarkeit konkreter und verwertbarer Informationen über diese Produkte für die Abfallwirtschaft.

5. Potential einer nachhaltigen öffentlichen Beschaffung für Übergang in Kreislaufwirtschaft nutzen
Allein in Deutschland erreichen öffentliche Ausgaben für den Einkauf von Waren und Dienstleistungen einen Gesamtwert von 500 Milliarden Euro. Der EU-weite Wert beträgt mit über 1.800 Milliarden Euro etwa 14 Prozent des BIP. Die öffentliche Beschaffungsorganisation kann daher eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung des Übergangs zu einer Kreislaufwirtschaft spielen, da umweltfreundliche Beschaffung die Nachfrage nachhaltiger Waren und Dienstleistungen sowie die Entwicklung nachhaltiger Technologien und Produkte maßgeblich fördern kann.

Heute wird dieses Potential nur teilweise ausgeschöpft. Beispielsweise wurde 2018 bei 60 Prozent der Ausschreibungen auf EU-Ebene der niedrigste Preis als einziges Zuschlagkriterium verwendet. Darüber hinaus haben viele Behörden keinen Zugang zu klaren und nachprüfbaren Kriterien, die es ihnen ermöglichen, Umwelterwägungen in ihre Ausschreibungskriterien einzubeziehen.
Entgegen ihren Ankündigungen im Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft ist die Europäische Kommission bislang noch nicht tätig geworden, durch konkretisierende Vergabevorschriften die Nachfrage nachhaltiger Produkte auf dem Markt voranzutreiben.

Deutschland muss die Kommission auffordern, produktgruppenspezifische Vorgaben zur Förderung einer umweltfreundlichen öffentlichen Vergabe auf europäischer Ebene einzuführen, um das große Potential des Binnenmarktes auszuschöpfen. Hilfsweise muss eine nationale Vorreiterrolle eingenommen werden, um als Beispiel für entsprechende europäische Regelungen zu dienen.

Diese Regelungen sollten

  • dem Beispiel der revidierten Richtlinie über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge (2009/33/EG) folgend verpflichtende, einfach zu überprüfende und technologieneutrale Umweltkriterien und -ziele für die zu beschaffenden Waren beinhalten, jedenfalls Mindestziele für den Anteil der jeweiligen nachhaltigen Produkte an der Gesamtmenge der zu beschaffenden Produkte;
  • insbesondere die Produktgruppen aufgreifen, die im Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft als prioritäre Abfallströme ausgewiesen werden;
  • besonders den Sektor Gebäude und Bauwesen behandeln, der in den Jahren zwischen 2009 und 2015 in Deutschland knapp 40 Prozent der öffentlichen Großaufträge ausmachte und daher besonders zum Einsparen von Primärressourcen beitragen kann.

6. Nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe mittels deutscher Vorreiterrolle fördern
Die Industrie wird weiterhin Kohlenstoff benötigen. Will man die Nutzung fossilen Kohlenstoffs jedoch konsequent verringern, muss abgeschiedenes CO2 einem Kreislauf zugeführt werden.

Unter Kohlenstoffkreisläufen versteht man den Kreislauf bestehend aus Erzeugung, Ausstoß und Umsetzung von Kohlenstoffdioxid. Zur Verwirklichung nachhaltigen Kohlenstoffkreisläufe (Sustainable Carbon Cycles, SCC) wurden neue Technologien entwickelt: Die Sammlung des abgeschiedenen Kohlenstoffs (Carbon Capture), dessen Speicherung (Carbon Storage) und dessen anschließende Nutzung (Carbon Utilisation). Im Rahmen von CCU (Carbon Capture and Utilisation) wird das aus einem Industrieprozess oder aus der Luft abgeschiedene CO2 einer neuen, z.B. chemischen oder biotechnologischen, Nutzung zugeführt.

Das CO2 kann dabei für eine Vielzahl neuer Prozesse verwendet werden, etwa für die Kraftstoffherstellung. Ziel von CCU bleibt stets, CO2 entweder dauerhaft zu binden oder im Kreislauf zu führen. Im Unterschied zu CCU geht es bei CCS (Carbon Capture and Storage) hingegen lediglich um die Speicherung des abgeschiedenen CO2 ohne anschließende Weiterverwendung. Dieser Prozess ist somit mit einer Deponierung vergleichbar und widerspricht damit dem Ziel der Schaffung eines Kreislaufes.

Sowohl das BMWK als auch das BMBF haben Förderung von CCU-/CCS-Technologien in Aussicht gestellt, eine Förderung durch den EU-Innovationsfonds erfolgt bereits. Die EU-Kommission hat schon am 15.12.2021 eine Mitteilung zu diesem Thema veröffentlicht und dessen herausragende Bedeutung für die Zukunft hervorgehoben. Die hohe Relevanz nachhaltiger Kohlenstoffkreisläufe wird durch einen Blick auf die betroffenen Industrien und die in Aussicht gestellten Fördermittel deutlich. Für die Zement-, Kalk- und Glasindustrie etwa sind die neuen Technologien von großer Bedeutung, da die dortigen CO2-Emissionen auch zukünftig kaum zu vermeiden sind. Für Bioabfallbehandlungs-, Abfallverbrennungs- und Biogasanlagen sind insbesondere CCU-Technologien sehr relevant, da das dort emittierte CO2 als grün angesehen werden kann und sich damit in besonderem Maße für eine Weiterverwendung eignet.

Nationale Regelungen zur Förderung nachhaltiger Kohlenstoffkreisläufe müssen Folgendes beinhalten:

  • CCU-Technologien müssen vorrangig im Vergleich zu CCS-Technologien behandelt werden.
  • CCU-Technologien sollten so weit wie möglich mittels erneuerbarer Energie betrieben werden. Bei „Waste-to-Energy“, Biogasanlagen und Biogasverbrennungsanlagen muss das Näheprinzip und der Anlagenbezug beachtet werden, um das abgeschiedene CO2 möglichst unmittelbar einer neuen Nutzung zuführen zu können und weitere Emissionen durch den Transport von CO2 zu verhindern.

 

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Die Musik, die heute in Europa komponiert wird, wird morgen in den Mitgliedsstaaten gespielt.

BDE – Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft e. V.