Neue EU-Legislaturperiode 2024-2029

Zehn BDE-Forderungen

Verbesserte Wettbewerbsbedingungen und die Unterstützung des Sekundärrohstoffmarktes müssen priorisiert werden


Hintergrund
Mit dem Start der neuen EU-Legislaturperiode blickt der BDE mit großen Erwartungen nach Brüssel. Die letzten fünf Jahre haben wichtige Fortschritte auf dem Weg zu einer klimaneutralen und zirkulären Wirtschaft gebracht, die in der kommenden Legislatur gesichert und weiter ausgebaut werden müssen. Die Umsetzung des Green Deals z. B. steht noch in einigen Aspekten aus und Unternehmen müssen in die Lage versetzt werden, die Vorgaben umzusetzen, ohne dabei den Industrie- und Wirtschaftsstandort zu gefährden. Dafür wird die kommende Legislatur entscheidend sein. Um diese Entwicklung voranzutreiben, hat der BDE zehn zentrale Forderungen formuliert, die nachhaltige Fortschritte für die Kreislaufwirtschaft ermöglichen werden.

Ursula von der Leyen, die wiedergewählte Präsidentin der Europäischen Kommission, hat bereits im Juli einen Einblick in die Prioritäten ihrer neuen Amtszeit gegeben (siehe Artikel im Europaspiegel Oktober 2024), ebenso wie der Rat der Mitgliedstaaten seine Strategie festgelegt hat (siehe Artikel im Europaspiegel Oktober 2024) und die Fraktionen des Europäischen Parlaments sich politisch positioniert haben (siehe Artikel im Europaspiegel Mai 2024).


BDE-Forderungen
1. Schaffung von Anreizen zur Verwendung von Rezyklaten für Hersteller und die öffentliche Hand, um die Nachfrage zu stimulieren

Da Primärrohstoffe bzw. -produkte in der Regel günstiger sind als Rezyklate, bedarf es regulatorischer Anreize, um die Nachfrage nach Rezyklaten des hiesigen Marktes anzukurbeln. Vorgaben zum Einsatz von Rezyklaten liefern für die Recyclingunternehmen Investitions-sicherheit in neue Anlagen auf hohem technologischem Niveau, wodurch die für Hersteller ausreichend Verfügbarkeit von Rezyklaten gewährleistet werden kann.

Dafür bedarf es aus Sicht des BDE einer rechtlichen Ausgestaltung des Endes der Abfalleigenschaft in allen mengenmäßig relevanten Stoffströmen. Konkret fordern wir:

  • Mindestrezyklateinsatzquoten und finanzielle Anreize für die Verwendung von Rezyklaten bei der Herstellung von Produkten, etwa Entlastungen von Steuern und Abgaben (z. B. ermäßigte Mehrwertsteuersätze).
  • Verordnungen zum Abfallende weiterer Stoffströme, die zügig verabschiedet werden.
  • Verpflichtung der öffentlichen Auftraggeber, bevorzugt Produkte zu beschaffen, die unter Verwendung von Rezyklaten hergestellt wurden und gut recyclebar sind.

Darüber hinaus müsste auch die Null-Schadstoff-Politik der Europäischen Kommission überdacht werden, um die Verwendung von Rezyklaten längerfristig zu ermöglichen. Strenge Grenzwerte für Schadstoffe wie PFAS in Produkten stehen der Verwendung von Rezyklaten bei der Produktion entgegen, da die Schadstoffe zeitverzögert in den Rezyklaten auftauchen und nicht immer ausgeschleust werden können. Zudem können sehr geringe Schadstoffkonzentrationen in Abfällen und Rezyklaten nur unter großem technischem Aufwand nachgewiesen werden. Deshalb fordert der BDE:

  • Verlängerte Übergangsfristen für Rezyklate bezüglich der Einhaltung strengerer Grenzwerte.
  • Grenzwerte auf einem Niveau, das Messungen mit vertretbarem Aufwand ermöglicht.
  • Risikobasierter Ansatz bei der Schadstoffpolitik, der für bestimmte Produktgruppen mit isolierten Schadstoffen und geringem
  • Expositionsrisiko höhere Grenzwerte ermöglicht, so dass für diese Produkte auch längerfristig Rezyklate mit höheren Grenzwerten verwendet werden können.


2. Schutz vor unlauterem Wettbewerb aus Drittstaaten, um Recycling in der EU zu erhalten
Des Weiteren ist der Schutz der europäischen Kreislaufwirtschaft vor unlauterem Wettbewerb aus Drittstaaten erforderlich. Anderenfalls drohen Rezyklate aus der EU vom Markt verdrängt zu werden, mit der Folge, dass die Recyclinginfrastruktur zusammenbricht.

Insbesondere die Kunststoff-Recyclingindustrie in der EU steht unter dem Druck von Importen billiger Rezyklate aus Drittstaaten (Asien). Dabei handelt es sich entweder tatsächlich gar nicht um Rezyklate, sondern um günstige Primärstoffe, die fälschlich als Rezyklate deklariert sind, oder die Rezyklate sind aufgrund fehlender oder geringerer Umweltstandards in den Herkunftsstaaten wesentlich kostengünstiger herstellbar und dadurch billiger als Rezyklate aus der EU. Der BDE fordert daher:

  • Gleiche bzw. vergleichbare Umwelt- und Nachhaltigkeitsstandards für Rezyklate aus der EU und Drittstaaten.
  • Nachweispflichten bezüglich des Recyclings und der Einhaltung von Umwelt und Nachhaltigkeitsstandards für Rezyklate, die insbesondere auch für Rezyklate gelten, die aus Drittstaaten in die EU eingeführt werden.


3. Gesetzliche Verankerung des Vorrangs des mechanischen Recyclings vor dem chemischen Recycling von Kunststoffen
Zusätzlich droht das mechanische Recycling von Kunststoffen in der EU auch durch das chemische Recycling (innerhalb und außerhalb der EU) beeinträchtigt zu werden. Die bessere.Vermarktbarkeit von chemisch recycelten Kunststoffen (da sie aus demselben Produktionsprozess wie Primärkunststoffe gewonnen werden und eine entsprechende Qualität haben) in Verbindung mit den von der chemischen und kunststoffverarbeitenden Industrie geplanten Kapazitäten für chemisches Recycling droht eine Sogwirkung zu entfalten und dazu zu führen, dass auch mechanisch recycelbare Kunststoffabfälle dem chemischen Recycling zugeführt werden.

Das Umlenken mechanisch recyclebarer Abfälle in das chemische Recycling ist jedoch unter ökologischen Gesichtspunkten nicht zielführend, da die CO2-Emissionen des chemischen Recyclings um ein Vielfaches höher sind als die des mechanischen Recyclings und der Output des chemischen Recyclings deutlich geringer ist. Damit erschwert es das Erreichen der Klimaziele. Daher fordern wir:

  • Festschreibung des Vorrangs des mechanischen Recyclings gegenüber dem chemischen Recycling rechtsverbindlich im CEA oder durch eine Anpassung der Abfallhierarchie in Art. 4 der Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG.


4. Schaffung eines Schengen-Raumes für Abfälle und Ermöglichen des Exports von Verwertungsabfällen in Drittstaaten, um einen freien Markt für Abfälle zu gewährleisten
Für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ist die freie Verfügbarkeit und Handelbarkeit von Abfällen unbedingte Voraussetzung. Abfälle müssen unkompliziert und schnell dorthin verbracht werden können, wo die beste und hochwertigste Behandlung möglich ist und wo eine Nachfrage nach ihnen besteht. Dabei ist zu beachten, dass die Abfall- und Rezyklatmärkte nicht an den Außengrenzen der EU enden. Deshalb sind die Bestimmungen zur Abfallverbringung zu überarbeiten. Konkret fordert der BDE:

  • Genehmigungsverfahren (Notifizierungen) nach der Abfallverbringungsverordnung zu vereinfachen und zu verkürzen.
  • Verbringungsbeschränkungen für Abfälle zur Verwertung in Drittstaaten zu lockern.
  • Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung, soweit Regelungen zum Abfallende bestimmter Stoffe noch nicht
  • bestehen; Stoffe, die in einzelnen Mitgliedstaaten nicht (mehr) als Abfälle gelten, müssen bei der Verbringung aus diesen Staaten auch von den Empfangs- und Durchfuhrstaaten als Nichtabfälle behandelt werden.


5. EU-weite einheitliche Bepreisung von Emissionen der Abfallbehandlung
Die durch die Abfallbehandlung entstehenden Emissionen sollten bepreist werden, um Anreize für eine möglichst klimaschonende Abfallbehandlung zu schaffen. Dabei ist die Abfallhierarchie nach Art. 4 der Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG zu berücksichtigen, d. h. eine Bepreisung der CO2-Emissionen darf nicht dazu führen, dass eine nach der Abfallhierarchie niederwertigere Behandlungsoption kostengünstiger wird als höherwertige Behandlungsoptionen. Insbesondere darf die Deponierung von Abfällen, bei der das besonders klimaschädliche Methan entsteht, wirtschaftlich nicht attraktiver sein als die thermische Verwertung.

Um die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre zu senken, müssen zudem Maßnahmen gefördert werden, die CO2 dauerhaft entfernen (CCS, Carbon Capture and Storage und CCU, Carbon Capture and Utilisation). Eine tragfähige klimaneutrale Wirtschaft kann nicht ohne eine funktionierende Kreislaufwirtschaft entstehen, die abgeschiedenes CO2 nutzt, um neue Kohlenstoffquellen zu ersetzen. Es ist daher wichtig, die Nutzung von abgeschiedenem CO2 zu fördern. Ebenso muss der Beitrag der Kreislaufwirtschaft bei der Vermeidung und Verringerung von CO2-Emissionen im Rahmen des EU ETS (EU Emissionshandelssystem) positiv berücksichtigt werden, um weitere Anreize für das Recycling und die Verwendung von Rezyklaten zu schaffen. Daher fordert der BDE:

  • Aufnahme der thermischen Abfallbehandlung und der Deponierung von Abfällen in den europäischen Emissionshandel (EU ETS).
  • Berücksichtigung von CCS und CCU und der CO2-Einsparungen durch Recycling im EU ETS.


6. Schaffung eines Level-Playing-Fields mit der Primärindustrie, um Rezyklate wettbewerbsfähig zu machen
Energieintensive Unternehmen, die besonders stark vom internationalen Handel abhängig sind und bei denen die Gefahr der Standortverlagerung in Drittstaaten mit weniger strengen Umweltnormen besteht, können gemäß Ziffer 4.11 der Leitlinien für Klima-, Umwelt- und Energiebeihilfen (KUEBLL) staatliche Beihilfen in Form einer Ermäßigung der Abgaben auf Strom erhalten. Das betrifft etwa die Chemie- und Baustoffindustrie.

Recycling ist ebenfalls energieintensiv, Recyclingunternehmen können aber keine Ermäßigungen von Abgaben auf Strom erhalten, da sie nicht so stark dem internationalen Handel ausgesetzt seien und keinem Verlagerungsrisiko unterlägen. Dabei stehen sie mit ihren Rezyklaten insbesondere im Hinblick auf Kunststoffe und Baustoffe in unmittelbarem Wettbewerb zu Unternehmen, die fossile und mineralische Rohstoffe verwenden und von der Ermäßigung auf Stromabgaben profitieren können.

Diese Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Recyclingwirtschaft – insbesondere im Hinblick auf Kunststoffe – müssen beseitigt werden. Daher fordert der BDE:

  • Änderung der KUEBLL dahingehend, dass Recyclingunternehmen Beihilfen erhalten können.


7. Konsequente, EU-weite Getrenntsammlung von Abfällen und Verbot der Deponierung unbehandelter Siedlungsabfälle
Die sortenreine Erfassung und Sammlung unterschiedlicher Stoffströme (Kunststoff, Metall, Papier, Glas, etc.) ist eine Grundvoraussetzung für ein umfassendes und qualitativ hochwertiges Recycling der Abfälle. Durch die Deponierung unbehandelter Siedlungsabfälle gehen wertvolle Stoffe dem Stoffkreislauf verloren. Die Deponierung unbehandelter Siedlungsabfälle verursacht durch die organischen Bestandteile der Abfälle besonders klimaschädliche Methanemissionen. Wir fordern deshalb:

  • EU-weite Pflicht zur getrennten Sammlung weiterer Abfallarten und Stoffe wie Metall, Kunststoff, Papier und Textilien.
  • EU-weites Verbot der Deponierung unbehandelter Siedlungsanfälle; es darf nur noch die Deponierung zuvor thermisch oder
  • mechanisch-biologisch behandelter Abfälle mit weniger als 5% organischem Anteil zulässig sein.


8. Schutz der Recyclinginfrastruktur vor Zerstörung und Ausweitung der Herstellerverantwortung auf eine Haftung für besondere Gefährdungen
Lithium-Ionen-Batterien finden sich in einer Vielzahl von Konsumgütern und werden oft mit diesen im Restmüll entsorgt. Dadurch gehen die in den Batterien enthaltenen strategischen Rohstoffe dem Stoffkreislauf verloren.

Vor allem aber verursachen die falsch entsorgten Batterien Brände in Abfallbehandlungsanlagen (siehe Artikel im Europaspiegel Oktober 2024) und -sammelfahrzeugen. Diese Brände haben ein solches Ausmaß erreicht, dass die Kosten für Brandschutzmaßnahmen einen erheblichen Anteil an den Investitionskosten für Anlagen ausmachen und Betreiber von Abfallbehandlungsanlagen Probleme haben, ihre Anlagen zu wirtschaftlich tragfähigen Konditionen zu versichern. Der BDE fordert daher:

  • Beteiligung der Hersteller und Inverkehrbringer von Produkten mit Batterien an den Kosten der von ihren Produkten im Entsorgungsprozess verursachten Schäden, etwa durch Zahlungen in einen Batterie-Fonds, aus dem Schäden in Entsorgungsanlagen gedeckt werden.
  • Kurzfristige Einführung eines EU-weiten Batteriepfands, um die falsche Entsorgung von Batterien über den Restmüll einzudämmen; die Prüfung eines Pfandes bis Ende 2027 im Rahmen der Batterieverordnung genügt nicht.
  • Inverkehrbringungsverbote für bestimmte Einweg-Produkte mit Batterien (z. B. Einweg- E-Zigaretten, elektronische Grußkarten, etc.).


9. Einrichtung einer EU-Kreislaufwirtschaftsagentur zur konsequenten Um- und Durchsetzung der europäischen Abfall- und Kreislaufwirtschaftspolitik
Der „Early Warning Report“ der Europäischen Kommission 2023 hat gezeigt, dass eine Vielzahl der Mitgliedstaaten die abfallpolitischen Ziele der EU nicht erreicht. Es bedarf daher der Schaffung geeigneter Strukturen, um den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der EU-Vorgaben zu helfen und Verstöße und mangelhafte Umsetzung zu ahnden.

Dazu sind zusätzliche personelle und finanzielle Mittel nötig, die in einer speziellen organisatorischen Einheit gebündelt werden sollten. Daher fordert der BDE:

  • Einrichtung einer Europäischen Kreislaufwirtschaftsagentur, deren Hauptaufgabe es ist, die Mitgliedsstaaten beim Umsetzen der Vorgaben zu unterstützen.


10. Förderung emissionsfreier Mobilität im Entsorgungsbereich
Abfälle werden überwiegend mit Lkw transportiert, angefangen bei der Sammlung an den Anfallstellen und dem Transport zu den Behandlungsanlagen durch Abfallsammelfahrzeuge über den Transport von Abfällen zwischen verschiedenen Abfallbehandlungsanlagen bis hin zum Transport der aufbereiten Rezyklate oder Brennstoffe zu den Produktionsstätten bzw. thermischen Abfallbehandlungsanlagen.

Der Beitrag der Kreislauf- und Entsorgungswirtschaft zum Klimaschutz und zur Dekarbonisierung der Wirtschaft könnte noch erheblich größer sein, wenn die Fahrzeugflotten der Entsorgungsbetriebe auf emissionsarme bzw. -freie Antriebe wie Strom oder Wasserstoff umgestellt würden. Die Mehrkosten für Lkw mit alternativen Antrieben im Verhältnis zu herkömmlichen Diesel-Lkw sind jedoch erheblich und können von den überwiegend mittelständischen Entsorgungsunternehmen nicht getragen werden – nicht zuletzt, weil die Kunden der Unternehmen, darunter insbesondere auch die Kommunen, nicht bereit sind, die damit verbundenen höheren Kosten über höhere Preise mitzutragen. Daher sind gezielte Förderprogramme für die Umstellung der Entsorgungswirtschaft auf emissionsarme bzw. emissionsfreie Fahrzeugflotten notwendig. Daher fordert der BDE:

  • EU-Fördermittel, die zur Anschaffung von Entsorgungsfahrzeugen mit alternativen Antrieben bereitgestellt werden.
     

Download BDE/VOEB Europaspiegel Oktober 2024

Dr. Christian Suhl

Geschäftsführer / Syndikusanwalt, Leiter der Brüsseler Vertretung