Rund 500 Millionen Tonnen neue Baustoffe werden jährlich in Deutschland in der Bauindustrie verarbeitet. Gleichzeitig fallen laut dem aktuellen Monitoringbericht des Branchenverbunds Kreislaufwirtschaft BAU etwa 220 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle inkl. Bodenaushub jährlich an, davon rund 55 Millionen Tonnen allein im Hochbau. Insgesamt sind im Gebäudebestand ca. 50 Milliarden Tonnen mineralische Baustoffe und weitere Rohstoffe gebunden. Diese außergewöhnlich großen Mengen verdeutlichen eindrücklich, dass eine langfristig erfolgreiche und nachhaltige Kreislaufwirtschaft in Deutschland nur mit einer klugen Kreislaufführung im Stoffstrom Mineralik gelingen kann, denn im Idealfall dienen alte Gebäude und Anlagen somit selbst als „Rohstofflieferant“ von morgen.
Dieses Potential muss besser genutzt werden und sollte zukünftig neben dem Tief- und Straßenbau auch den Hochbau stärker in den Fokus nehmen. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass Recyclingbaustoffe (RC-Baustoffe), insbesondere bei einer Wiederverwendung in sortenreinem, hochwertigem RC-Material für den Hochbau, niemals den Einsatz von Primärrohstoffen gänzlich ersetzen werden. Eine realistische Einschätzung der Mengenpotentiale im Bereich des Baustoffrecyclings soll dessen zukünftigen Einsatz nicht dämpfen, sondern ist notwendig für dessen nachhaltigen Erfolg und Akzeptanz.
1. Zentrale Verantwortung der Bauherren muss rechtlich definiert werden
Hier ist u.a. ein Blick in die europäische Nachbarschaft sehr ergiebig. Die auf das erwähnte Abfallwirtschaftsgesetz anknüpfende österreichische Recyclingbaustoffverordnung nimmt den Bauherren klarer und früher in die Pflicht. Der Geltungsbereich ist gegenüber unserem Recht insbesondere durch § 2 Abs. 2 des österreichischen Abfallwirtschaftsgesetzes mit einem „Steigbügelhalter“ versehen. Die Verordnung gilt gemäß dem Geltungsbereich in § 2 nicht für die Gebäude an sich, sondern für den Abbruch und daraus resultierende Abfälle. Die darauffolgenden Festlegungen beziehen sich immer darauf, wenn durch die Tätigkeiten mit dem Anfall von Abfällen zu rechnen ist. Auch § 3 Landeskreislaufwirtschaftsgesetz Baden-Württemberg (LKreiWiG BW) macht zum einen Vorgaben zu Konstruktion und der Materialauswahl zur Errichtung baulicher Anlagen und zum anderen bei Abbruchmaßnahmen Abfallverwertungskonzepte. Die Bundesländer müssen in ihren Fachgesetzen entsprechende Regulatorik zur Vermeidung und Verwertung von Bau- und Abbruchabfällen aufnehmen. Regulatorisch bietet sich hierzu auch in der Musterbauordnung (MBO) der Bundesländer an.
Auch die Ersatzbaustoffverordnung (EBV) sollte entsprechend angepasst werden und den Baubestand somit in den Fokus rücken. Die Verantwortung des Bauherrn offenbart sich also am Anfang des Lebenszyklus eines Gebäudes in dessen Planung und auch am Ende des Lebenszyklus mit der Planung und Umsetzung eines selektiven Rückbaus. Nur wenn hier die Recyclingfähigkeit der eingesetzten mineralischen Baustoffe von Anfang an verpflichtend mitgedacht wird, kann sich ein konstanter und nachhaltiger Markt für hochwertige Recyclingbaustoffe erfolgreich etablieren.
2. Förderung der Nachfrage für möglichst viele Materialklassen von RC-Baustoffen durch die Öffentliche Hand
Die staatlichen Lenkungsinstrumente sind in den kommenden Jahren noch unabdingbar für eine vollzugstaugliche, praxisnahe und ambitionierte Kreislaufführung im Stoffstrom Mineralik.
a. Abriss/Abbruch
Die öffentliche Hand muss ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und sich bei Bauprojekten dazu verpflichten, dass kein Abbruch mehr ohne Vorprüfung/Erkundung und eine bestmögliche Aufbereitung des Abbruchmaterials durchgeführt wird. Hierbei sollte insbesondere auf den selektiven Rückbau geachtet werden, um RC-Baustoffe möglichst sortenrein im Kreislauf zu führen. Perspektivisch sollte für jede Erteilung einer Abbruchgenehmigung ein geordnetes Rückbaukonzept als eine Grundvoraussetzung verpflichtend aufgenommen werden.
b. Technologieförderung/ Aufbereitung
Ergänzend hierzu sollte die öffentliche Förderung von Recycling-Technologien ausgeweitet werden, um Gemische zukünftig sortenreiner und perspektivisch kostengünstiger aufbereiten zu können. Beispielsweise sollte die Aufbereitung von Bodenmaterial finanziell gefördert werden, mit dem Ziel den vorhandenen steinigen Anteil zu extrahieren und dessen anschließender Verwertung als RC-Baustoff. So könnte ein noch tatsächlich vorhandenes Substitutionspotential gehoben werden.
c. Herstellung
Eine Mindesteinsatzquote von Recyclingbaustoffen (RC-Baustoffen) ist aufgrund des regional ungleichmäßigen Anfalls mineralischer Bau- und Abbruchabfälle in Menge und Qualität nicht zielführend. Potenziell kann sie sogar zu logistischen Problemen und einem gesteigertem Transportaufkommen führen, was insbesondere aus Klimabetrachtungen zu vermeiden ist. Vielmehr sollte von Herstellern von Bauprodukten eine ambitionierte aber den regionalen Gegebenheiten entsprechend realistische Selbstverpflichtung eingefordert werden, RC-Baustoffe in größerem Maße einzusetzen. Dies kann auch durch ein Anreizsystem ergänzt werden. Hier wäre beispielsweise ein halber Mehrwertsteuersatz für Bauprodukte mit Minimum Recycled Content denkbar.
Grundsätzlich sollte der CO2-Fußabdruck der Logistik im Mineralikbereich sowohl bei Primär- als auch bei Recyclingbaustoffen stärker berücksichtigt werden. Unter diesem Gesichtspunkt können insbesondere in Ballungsräumen die Herstellung und der Einsatz von RC-Baustoffen aufgrund kurzer Transportwege besonders attraktiv sein.
d. Produktstatus
Außerdem muss die Klarstellung des Produktstatus von Recyclingbaustoffen schnellstmöglich erfolgen. Gütegesicherte RC-Baustoffe müssen auch über die strengsten Einbauklassen hinaus den Produktstatus erreichen können. So können mit Hilfe des Produktstatus kostspielige Zusatzauflagen z.B. für die Herstellung von RC-Beton vermieden werden, da eine Transportbeton-Anlage keine Genehmigung als Abfallbehandlungsanlage nach BImSchG benötigt, wenn auf ihr ein gütegesichertes Produkt verarbeitet wird.
e. Einsatz
Schließlich ist eine Anpassung von § 45 KrWG dringend erforderlich. Der aktuell vorgegebene Prüfauftrag („kann“-Bestimmung) muss durch einen verpflichtenden Einsatz von RC-Baustoffen in öffentlichen Bauprojekten ersetzt werden („muss“-Bestimmung). Nur durch eine dezidierte Begründung, warum ein solcher Einsatz nicht realisierbar ist, kann zukünftig vom Einsatz von RC-Baustoffen abgesehen werden. In diesem Zusammenhang genügen zukünftig nicht rein wirtschaftliche/finanzielle Gesichtspunkte für einen Ausschluss. Der Beschaffungsprozess muss im Sinne der Transparenz und der Digitalisierung für die Öffentlichkeit klar nachvollziehbar sein. Schließlich ist eine weitere Verschärfung von § 45 KrWG dringend erforderlich. Die durch die Novelle des KrWG eingeführte konditionierte Bevorzugungspflicht, welche die einfache „Prüfpflicht“ abgelöst hat, ist ausdrücklich zu begrüßen, ist jedoch durch die vorhandenen Formulierungen für die Vergabepraxis unnötig stark abgeschwächt.
Insbesondere für den Fall, dass bei Bauvergabeverfahren die Ausschreibungsstelle nach Prüfung der Bevorzugungspflichten die Entscheidung trifft, dass MEB in der Ausschreibung ausgeschlossen (bzw. ausschließlich Primärbaustoffe ausgeschrieben) werden sollen, sollte dies im anzufertigen Vergabevermerk explizit begründet werden müssen. Eine Begründung über rein wirtschaftliche/finanzielle Gesichtspunkte („keine unzumutbaren Mehrkosten“) darf in Zukunft nicht mehr allein ausschlaggebend sein für einen Ausschluss von MEB. Nur eine solche explizite Begründung ermöglicht für den Einzelfall eine transparente und überprüfbare Nachvollziehbarkeit. Ein solcher Vergabevermerk muss entsprechend für die Öffentlichkeit einzusehen sein (Online-Portal).
3. Abbau fachlich unbegründeter Schlechterstellung von güteüberwachten RC-Baustoffen gegenüber Primärrohstoffen
So kommt es u.a. im Bereich der Normung von Bauprodukten weiterhin zur unsachgemäßen Diskriminierung von Recyclingmaterial. Entsprechende Ausschlusskriterien für Recyclingbaustoffe müssen dringend auf den Prüfstand gestellt werden und bei fehlender technischer/ bauphysikalischer Begründung konsequent gestrichen werden. Auch etwaige Diskussionen um Schadstoffgehalte in RC-Baustoffen müssen stärker im Kontext von natürlichen Schadstoffbelastungen vergleichbarer Primärrohstoffe erfolgen und fachlich unbegründete Ungleichbehandlung müssen zukünftig vermieden werden.
4. Digitalisierung durch K.I. und kluge Algorithmen
Eine zentrale Funktion der Digitalisierung in der Baustoffrecyclingbranche besteht darin, dass sie mit Hilfe von K.I. und klugen Algorithmen zur notwendigen Optimierung der Stoffströme beitragen und die Ziele einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft und nachhaltigen CO2-Einsparungen zusammenführen kann.
Digitale Systeme, insbesondere Plattformlösungen, können sehr konkret und kurzfristig dabei helfen, (Angebots-)Märkte für RC-Baustoffe sowohl für Anbieter als auch Abnehmer transparenter zu gestalten. Darüber hinaus sollten für eine mittel- und langfristige Planung von Stoffkreisläufen mit Hilfe von standardisierten digitalen Gebäude-/Ressourcenpässen die verfügbare Datenlage zum Gebäudebestand und zu Neubauprojekten drastisch verbessert werden, um u.a. ein klareres Bild über regionale Verfügbarkeiten von zukünftigen RC-Baustoffen abbilden zu können. Die Bundes- und Landesregierungen sollten ebenso entsprechende Digitalisierungsprojekte aus der Privatwirtschaft ideell und finanziell unterstützen, welche den Einsatz von RC-Baustoffen vereinfachen und auf einheitliche Standards hinwirken.
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An der Mineralik entscheidet sich, ob Ressourcenschutz gelingt. Gerade deshalb sind wir auf kluge und gute Regeln im Umgang mit mineralischen Materialien angewiesen.
BDE – Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft e. V.