Rahmenbedingungen

Die Entsorgungs- und Kreislaufwirtschaft leistet bereits jetzt einen erheblichen Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen in der Rohstoff-, Klima- und Energiepolitik. Das Potential allerdings ist deutlich größer. Dazu bedarf es aber auch einer ehrlichen Betrachtung der Schwächen des Industriestandortes Deutschland und der Bereitschaft zur Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen. Sie sind unverzichtbar für deutliche Fortschritte in der Kreislaufwirtschaft und damit für die Zukunft eines nachhaltigen Industriestandortes Deutschland.

1. Industriestrompreis
Die rohstoffverarbeitende Industrie in Deutschland und Europa muss im globalen Standortwettbewerb bestehen. Wenn unsere Wettbewerbsfähigkeit als Industriestandort gefährdet ist, dann sind auf Dauer auch Getrenntsammlung und Aufbereitungsinfrastruktur in Gefahr. Sie setzen voraus, dass die aufbereiteten Materialien von der deutschen und europäischen Industrie überhaupt nachgefragt und abgenommen werden – also, dass es eine wettbewerbsfähige produzierende Industrie in Deutschland und Europa gibt. Ansonsten bleiben nur der Export oder der Verzicht auf die Getrenntsammlung. Die Wettbewerbsfähigkeit der produzierenden Industrie in Deutschland und der EU ist derzeit vor allem durch die Energiepreisentwicklung massiv gefährdet. Deutschland braucht daher einen dauerhaft wettbewerbsfähigen Industriestrompreis für energieintensive Produktion, um Produktion und Abnahme von Rohstoffen zu sichern. Um dabei den Anforderungen der Energiewende gerecht zu werden, darf ein Industriestrompreis keine Gießkannenfunktion haben: Er kann nur dann greifen, wenn der Energieverbrauch im Zusammenhang mit der Transformation unserer Industrie zur Kreislaufwirtschaft und der Energiewende gestellt wird. Dabei wäre der Industriestrompreis in seiner Ausgestaltung von dem Einsatz von Recyclingrohstoffen abhängig.

2. Beschleunigung der Genehmigung und Durchführung von Investitionsmaßnahmen
Eine Genehmigungs- und Durchführungsbeschleunigung darf nicht nur auf den Bereich der erneuerbaren Energien beschränkt bleiben. Die Transformation zu einer zirkulären und klimaneutralen Wirtschaft setzt in vielen Branchen erhebliche Investitionen voraus. Die derzeitige Verfahrensdauer vom Antrag bis zur bestandskräftigen Genehmigung ist deutlich zu lang und gefährdet den Zeitplan bis zum Erreichen der Klimaneutralität. Deshalb sollten auch für Investitionen in Projekte der Kreislaufwirtschaft in die relevanten Fachgesetze Regelungen aufgenommen werden, die das überwiegende öffentliche Interesse an diesen Transformationsinvestitionen feststellen und eine Straffung des gesamten Genehmigungsprozesses beinhalten. Vorbild sollte der kürzlich reformierte § 2 EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) sein.

3. Erleichterungen bei LKW-Führerscheinerlangung
Die Entsorgungsbranche ist von existenzieller Bedeutung für die Gewinnung von recycelbaren Stoffströmen. Gleichzeitig ist sie massiv durch den Mangel an LKW-Fahrern betroffen. Haushaltsnahe Getrenntsammlung erfordert gerade in den Städten den personengesteuerten LKW-Einsatz.

Hier braucht es Erleichterungen bei der LKW-Führerscheinerlangung. Da auf absehbare Zeit nur etwa 50 Prozent der altersbedingt ausscheidenden Fahrer durch Berufseinsteiger ersetzt werden können, ist es zwingend notwendig, Entlastung durch LKW-Fahrer insbesondere aus Drittstaaten zu gewinnen. Konkrete Schritte sind:

  • LKW-Führerschein-Prüfungen komplett (Theorie und Praxis) in englischer Sprache
  • Uneingeschränkte Anerkennung sämtlicher Führerscheine aus dem EU-Ausland uneingeschränkt in der gesamten EU
  • Erleichterung der digitalen Fortbildungsmaßnahmen
  • Verkürzung der Prüfungsdauer durch einen erweiterten Prüfermarkt

4. Vollzugsoffensive starten
Neben einer Offensive für schnellere Genehmigungen und mehr Arbeitskräfte ist eine Vollzugsoffensive notwendig, um die bestehende Regulatorik auch in der Realität umzusetzen. Im Umweltbereich werden einige Regelungen auch Jahre nach ihrem Inkrafttreten nur unzureichend oder überhaupt nicht im Vollzug kontrolliert und weitgehend kaum beachtet:

  • Die GewerbeabfallVO als wichtigstes Regelwerk für die Getrenntsammlung besonders wertvoller Gewerbe- und Produktionsabfälle findet im Vollzug in vielen Bundesländern weitgehend nicht statt, ihre Vollzugsfähigkeit wird teilweise bezweifelt.
  • Massive Differenzen in der Pro-Kopf-Sammlung bei organischen Abfällen in einzelnen Bundesländern belegen die erheblichen Potentiale, die bei der Aussteuerung von organischen Abfällen aus dem Restabfall bestehen. Die vom Gesetzgeber seit 10 Jahren beschlossene Getrenntsammlung muss flächendeckend durchgesetzt werden. Wir können es uns nicht leisten, durch mangelhafte Sammelquoten wichtige Ressourcen zu verlieren.
  • Der illegale Export von insbesondere Elektroabfällen führt zu massiven Umweltproblemen in den Zielländern, ist aber auch eine Folge nicht ausreichender Vollzugsaktivitäten der bestehenden Regeln.
  • Öffentliche ökologische Beschaffung kann ein Hebel für eine erfolgreiche Rohstoffwende sein. Heute sind Ausschreibungen mit klarem Fokus auf Recyclingrohstoffe immer noch die Ausnahme. Der Einsatz von Recyclingmaterial muss aber – wie in anderen Ländern vorgelebt – zur Regel werden.

Es sollte möglichst zeitnah eine (z.B. sechsmonatige) Vollzugsoffensive beginnen, bei der alle Vollzugsebenen schwerpunktmäßig Regeln kontrollieren, die der Umwelt- und Kreislaufwirtschaft sowie der Transformation dienen.

5. Abfallende als wichtige Schnittstelle im Kreislauf regeln
Grundsätzlich sollte das Ende der Abfalleigenschaft für möglichst viele Stoffströme (im Bereich gefährliche und nichtgefährliche Abfälle) auf europäischer Ebene geregelt werden. Ist dies aber bei einzelnen Stoffströmen nicht möglich, sind nationale Regelungen unverzichtbar. Wenn ein Material seine rechtliche Bewertung als Abfall verliert und den Produktstatus erreicht hat, hat dies weitreichende Konsequenzen. Zur Akzeptanz des Rohstoffeinsatzes aus Recyclingprozessen gehört, dass diese Frage nicht in den Mitgliedsstaaten der EU oder gar innerhalb Deutschlands unterschiedlich beantwortet wird. Die Rechtsanwendung muss zwischen Hamburg und München identisch sein. Eine klare, einheitliche Definition der relevanten Schnittstellen verbessert den Rohstoffeinsatz. Wir streben an, dass das Abfallende und damit der Produktstatus generell im Verantwortungsbereich der Entsorger erreicht wird.

6. Gesetze müssen Raum für Innovation schaffen
Die Kreislaufwirtschaft zeichnet sich durch hohe Innovationstätigkeit aus, besonders viele Start-ups werden hier gegründet. Eine technologieoffene Förderung von Pilotprojekten verbessert das Investitionsklima. Hierfür bietet sich die breite Einführung des erprobten Instruments von Reallaborregelungen an, das Freiräume zur Erprobung von Innovationen ermöglicht. So kann auf langwierige Genehmigungsverfahren für neue Technologien zunächst verzichtet werden. Innovationen bekommen so eine Realisierungschance – natürlich mit anschließender Prüfung. Ein Reallabor sollte gleichermaßen die Erfordernisse der analogen wie auch digitalen Kreislaufwirtschaft berücksichtigen. Die Bundesregierung sollte dabei keine Technologien vorschreiben oder ausschließen. Einheitliche und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen für Reallabore in den Fachgesetzen (z.B. KrWG, Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG)) müssen diese Freiräume schaffen. Ziel ist es, übergreifende Standards für Reallabore gesetzlich zu verankern, um Unternehmen, Forschungsinstituten und Kommunen attraktive Bedingungen zu bieten und gleichzeitig regulatorisches Lernen zu fördern.

7. Infrastruktur ausbauen
Ferngüterverkehre können und sollten verstärkt auf Binnengewässer und Schiene ausweichen. Dies bedarf einer umfangreichen Ertüchtigung der bestehenden Infrastruktur durch Errichtung bzw. Erweiterung dezentraler Bahnanschlüsse und kleinerer Binnenhäfen. Verträge für Binnenschiff und Bahn müssen praxisnah sein. Verkehre dieser Art dürfen nicht wie eine U-Bahnlinie betrieben werden. Auch muss die Preisgestaltung im Wettbewerb erfolgen, sodass der Wechsel von Straße auf Schiene und Wasser auch betriebswirtschaftlich betrachtet Sinn ergibt.

8. Ganzheitliche Regulatorik zur Rohstoffsicherung
Die strategische Bedeutung von Rohstoffen muss sich auch in einer ganzheitlichen Regulatorik zur Rohstoffsicherung wiederfinden. Eine aktive Rohstoffpolitik muss die zwei bzw. vier Säulen der Rohstoffsicherung in den Blick nehmen: sowohl Primärrohstoffe (heimische Import) als auch Sekundärrohstoffe (heimische und Import). Eine EU-Agentur für Kreislaufwirtschaft sollte für ein Level Playing Field in der EU sowie ein gleiches Verständnis von Vollzug und Umsetzung der europäischen Regulatorik sorgen und auch Verbesserungen bei der innereuropäischen Abfallverbringung mit dem Ziel des hochwertigen Recyclings erreichen.

 

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Wenn Deutschland Klimaziele erreichen, Energie einsparen, Ressourcen schonen und trotzdem ein wettbewerbsfähiger Industriestandort bleiben will, darf es nicht untätig sein.

BDE – Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft e. V.