EU-Strommarktdesigns

Industrieausschuss des Europäischen Parlaments bestätigt vorläufige politische Einigung über Reform des EU-Strommarktdesigns

Am 15. Januar 2024 bestätigte der Industrieausschuss (ITRE) des Europäischen Parlaments die vorläufige politische Einigung über den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung zur Verbesserung des EU-Strommarktdesigns. Dieses Dossier war eine Priorität der spanischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2023. Dies hatte zur Folge, dass sich nach der Veröffentlichung des Kommissionsvorschlages am 14. März 2023, die Verhandlungsführer von Rat, Europäischem Parlament und Europäischer Kommission bereits neun Monate später im Rahmen der Trilogverhandlungen über die Reform einigen konnten. Nun müssen das Plenum des Europäischen Parlaments sowie der Rat der EU der Einigung förmlich zustimmen, damit die Verordnung noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten kann.

 

Hintergrund
Der Kommissionsvorschlag für eine Verordnung zur Verbesserung des EU-Strommarktdesigns verfolgt drei Kernziele: die Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, den Ausbau erneuerbarer Energien sowie den Schutz der Verbraucher vor außergewöhnlich hohen Energiepreisen. Zum Zwecke der Erreichung dieser Ziele sieht der Vorschlag die Änderung von gleich vier Rechtsakten des EU-Energierechts vor:
• der Verordnung (EU) 2019/943 (Elektrizitätsmarktverordnung),
• der  Verordnung (EU) 2019/942 (ACER-Verordnung),
• der Richtlinie (EU) 2019/944 (Strommarktrichtlinie)
• und der Richtlinie (EU) 2018/2001 (Erneuerbare-Energien-Richtlinie, RED).
Der Vorschlag ist zudem neben dem Vorschlag für einen Net-Zero-Industry Act und dem Vorschlag für einen Critical Raw Materials Act die dritte Säule des Green Deal Industrieplanes der Europäischen Kommission zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sowie der Resilienz der  EU mit Blick auf die Umsetzung des European Green Deal.

Wesentliche Inhalte der vorläufigen Einigung
Direkte Preisstützungssysteme in Form von zweiseitigen Differenzverträgen

Die vorläufige politische Einigung sieht für die öffentliche Finanzierung in Form von direkten Preisstützungssystemen zum Schutz vor volatilen Preisen den Abschluss zweiseitiger Differenzverträge (Contracts for Difference – CfDs) oder gleichwertiger Regelungen mit denselben Wirkungen als Modell vor. In derartigen Verträgen zwischen Staat und Energieerzeuger werden sowohl ein Höchst- als auch ein Mindestpreis – deshalb zweiseitig – festgelegt. Sofern ein Energieerzeuger Einnahmen über dem vereinbarten Höchstpreis erzielt, muss er diese an den Staat zurückzahlen, welcher sie dann an die Stromverbraucher weiterleitet. Sofern der Strompreis, den Energieerzeuger an der Strombörse erzielen, unter dem vertraglich vereinbarten Mindestpreis liegt, muss der jeweilige Mitgliedstaat dem Energieerzeuger den jeweiligen Differenzbetrag zurückerstatten. Mithin sollen durch zweiseitige Differenzverträge vor allem die Stromverbraucher vor zu hohen Energiepreisen geschützt, aber umgekehrt auch Energieerzeuger vor zu niedrigen Strompreisen abgesichert werden.

Im Vergleich zum Kommissionsvorschlag ist in der vorläufigen Einigung der Zusatz neu, dass direkte Preisstützungsregelungen zwar nicht in Form zweiseitiger Direktverträge abgeschlossen werden müssen, jedoch zwingend dieselben Auswirkungen wie zweiseitige Differenzverträge haben müssen. Neu ist außerdem der Zusatz, dass die Teilnahme der Marktteilnehmer an direkten Preisstützungsregelungen in Form zweiseitiger Differenzverträge sowie an gleichwertigen Regelungen mit denselben Wirkungen in jedem Falle freiwillig ist.

Schließlich hat es keine Änderung im Hinblick auf die mittels zweiseitiger Differenzverträge oder gleichwertigen Regelungen zu fördernden Arten der Energieerzeugung gegeben. Damit gelten die Regeln zur staatlichen Subventionierung durch direkte Preisstützungssysteme ausschließlich für die Erzeugung von Strom aus Windenergie, Solarenergie, geothermischer Energie, Wasserkraft sowie aus Kernenergie.

Power Purchase Agreements
Rat, Europäisches Parlament und Europäische Kommission einigten sich darüber hinaus darauf, dass Mitgliedstaaten die Einführung von Stromabnahmevereinbarungen fördern sollen, etwa durch die Beseitigung ungerechtfertigter Hindernisse und unverhältnismäßiger oder diskriminierender Verfahren oder Gebühren. Derartige Direktverträge zwischen Stromerzeugern und Stromabnehmern (Power Purchase Agreements, PPAs) sollen möglichst langfristig gelten und Endkunden ebenfalls vor kurzfristigen Preisschwankungen schützen. Durch die Formulierung, dass die Mitgliedstaaten den Abschluss derartiger Verträge fördern sollen, wird gleichzeitig deutlich, dass der Abschluss derartiger Verträge, ebenso wie der Abschluss zweiseitiger Differenzverträge nicht verbindlich ist. Demzufolge können Unternehmen weiterhin frei wählen, ob sie sich für zweiseitige Differenzverträge mit dem Staat oder für direkte Stromabnahmeverträge mit den Verbrauchern entscheiden.

Erlösobergrenze
Die Einführung einer sogenannten Erlösobergrenze war im Vorfeld der Veröffentlichung des Kommissionsvorschlages lange Zeit in der Diskussion, da eine solche Obergrenze noch Inhalt einer Notfallverordnung des Rates war, die im Oktober 2022 verabschiedet wurde. In dieser Notfallverordnung war geregelt, dass Markterlöse inframarginaler Stromerzeuger oberhalb einer Grenze von 180 EUR pro Megawattstunde an den jeweiligen Mitgliedstaat herauszugeben sind. Unter inframarginalen Stromerzeugern versteht man diejenigen Stromerzeuger, bei denen davon ausgegangen wird, dass die Kosten für die Produktion des elektrischen Stroms relativ gering sind und bei denen somit bei geringen Produktionskosten im Jahr 2022 unverhältnismäßig hohe Gewinne erzielt worden wären. Hierzu zählen zum Beispiel erneuerbare Energien, Kernenergie und Braunkohle. In der Allgemeinen Ausrichtung des Rates war noch vorgesehen, dass Mitgliedstaaten bis zum 30. Juni 2024 eine Obergrenze auf die Erlöse aus inframarginalen Erzeugungsanlagen anwenden können. Der Kommissionsvorschlag sah keine Erlösobergrenze für inframarginale Stromerzeugung vor, ebenso fehlt eine solche in der Positionierung des Europäischen Parlaments. Im Text der vorläufigen Einigung hat man sich ebenfalls vollständig gegen die Einführung einer Erlösobergrenze entschieden.


Bewertung
Die vorläufige Einigung zu der Reform des EU-Strommarktdesigns enthält inhaltlich mehrere positive, jedoch auch negative Aspekte. Positiv zu bewerten ist zunächst, dass man sich allgemein für eine Marktoffenheit entschieden hat. Sie wird zunächst dadurch gewährleistet, dass die Teilnahme der Marktteilnehmer an direkten Preisstützungsregelungen in Form von zweiseitigen Differenzkontrakten sowie an gleichwertigen Regelungen mit denselben Wirkungen freiwillig bleibt. Demzufolge können Stromerzeuger auch in Zukunft frei wählen, ob sie sich für zweiseitige Differenzverträge mit dem Staat oder für Power Purchase Agreements mit den Endkunden entscheiden. Eine solche freie Wahlmöglichkeit ist sehr wichtig, um ausreichend Flexibilität auf Erzeugerseite zu garantieren und das Funktionieren eines freien Strommarktes nicht durch überbordende Regulatorik zu gefährden.

Zu kritisieren ist jedoch, dass die Regeln zur staatlichen Subventionierung durch direkte Preisstützungssysteme ausschließlich für die Erzeugung von Strom aus Windenergie, Solarenergie, geothermischer Energie, Wasserkraft sowie Kernenergie gelten. Erklärtes Ziel der EU-Strommarktreform ist neben dem Verbraucherschutz gerade die umfassende Förderung erneuerbarer Energien. Aus diesem Grunde sollten zwingend alle Formen erneuerbarer Energien gemäß der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) gefördert werden. Insbesondere ist die Förderung von Kernenergie mit dem Ziel der Reform des EU-Strommarktes unvereinbar, soweit gleichzeitig etwa die Förderung von erneuerbarer Energie aus Biomasse ausgenommen wird.

Schließlich ist hingegen sehr erfreulich, dass man sich gegen die Einführung einer Erlösobergrenze entschieden hat. Eine solche wurde mittels einer Notfallverordnung des Rates ausschließlich vor dem Hintergrund der EU-weiten Energiekrise im Jahre 2022 festgesetzt. Ein solches Notfallinstrument sollte – wie der Name schon sagt – die Ausnahme bleiben und gerade nicht Teil einer dauerhaften Reform des EU-Strommarktes sein. In diesem Zusammenhang ist noch zu betonen, dass es schon nicht möglich ist, erneuerbare Energien insgesamt zu den inframarginalen Stromerzeugungsquellen zu zählen, da man hier keinesfalls die Produktionskosten per se als niedrig qualifizieren kann.

 

Zeitplan
Nach der förmlichen Bestätigung der vorläufigen Einigung durch Industrieausschuss (ITRE) des Europäischen Parlaments, muss nun noch das Plenum des Europäischen Parlaments die vorläufige Einigung bestätigen. Dies soll in der Woche vom 26. bis zum 29. Februar geschehen. Sodann muss lediglich noch der Rat der EU die Einigung förmlich bestätigen. Die vier EU-Rechtsakte, die im Rahmen dieser Reform revidiert werden, können sodann veröffentlicht werden und in Kraft treten.

 

Download BDE/VOEB Europaspiegel Februar 2024

Michael Iordache

Legal Advisor, Europareferent - Wettbewerb, Binnenmarkt, Steuern und Abfallverbringung