Revision der Industrieemissionsrichtlinie

Umweltausschuss des Europäischen Parlaments bestätigt vorläufige Einigung

Der Umweltausschuss (ENVI) des Europäischen Parlaments hat im Rahmen einer Abstimmung am 11. Januar 2024 die vorläufige Einigung über den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Revision der Industrieemissionsrichtlinie (Industrial Emissions Directive – IED) mit großer Mehrheit bestätigt. Ende letzten Jahres hatten sich die Verhandlungsführer von Rat, Parlament und Kommission im Rahmen der Trilogverhandlungen bereits vorläufig (informell) über die neue IED geeinigt. Damit müssen nunmehr lediglich noch das Plenum des Parlaments sowie der Rat der EU der Einigung förmlich zustimmen, damit die überarbeitete Richtlinie noch im ersten Halbjahr 2024 in Kraft treten kann.


Hintergrund

Die Industrieemissionsrichtlinie ist das europäische Rahmenwerk für die Regulierung von Emissionen durch Industrieanlagen. Sie regelt unter anderem die Genehmigungsbedürftigkeit von Industrieanlagen mit dem Ziel, Umweltverschmutzungen möglichst zu vermeiden und in jedem Falle zu verringern. Vor dem Hintergrund des European Green Deal veröffentlichte die Europäische Kommission am 5. April 2022 einen Vorschlag zur Überarbeitung der IED, um diese den Zielen des Green Deals (verstärkter Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU) anzupassen.

Nach einem langen Gesetzgebungsverfahren mit zahlreichen in den zuständigen Ausschüssen des Europäischen Parlaments eingebrachten Änderungsanträgen sowie umfangreichen Verhandlungen, einigten sich die Verhandlungsführer von Europäischem Parlament und Rat Ende letzten Jahres vorläufig auf einen Kompromiss für eine überarbeitete Richtlinie. Mit der neuen Industrieemissionsrichtlinie wird das bisherige System grundlegend verändert. Neben der Ausweitung des Anwendungsbereiches auf zahlreiche neue Industrieanlagen, insbesondere zur Tierhaltung, enthält die neue IED umfangreiche Neuregelungen, welche die gesamte europäische Industrie betreffen – nicht zuletzt die Entsorgungsbranche.

Wesentliche Inhalte der vorläufigen Einigung
Änderung der Deponierichtlinie

Die Revision der IED umfasst eine teilweise Änderung der Deponierichtlinie (siehe Europaspiegel Juni 2023 und Oktober 2023). Demnach werden die technischen Anforderungen an den Betrieb von Deponien aus der Deponierichtlinie ausgegliedert und zukünftig in der IED geregelt. In Zukunft werden somit gemäß der IED Schlussfolgerungen zu den „besten verfügbaren Techniken“ (BVT-Schlussfolgerungen) für Abfalldeponien angenommen.

Die für die Industrieemissionsrichtlinie maßgeblichen besten verfügbaren Techniken (BVT) werden im Rahmen eines umfassenden Wissens- und Informationsaustausches zum aktuellen Stand der Technik zwischen der Europäischen Kommission, den EU-Mitgliedstaaten, Nicht-Regierungsorganisationen und der Industrie ermittelt. Dieser Austausch ist allgemein bekannt als sogenannter „Sevilla-Prozess“. Die Ergebnisse dieses Prozesses werden sodann in sogenannten BVT-Merkblättern zusammengefasst, welche ihrerseits verbindliche Vorgaben (BVT-Schlussfolgerungen) für die EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich von der Industrie einzuhaltender Emissionsbandbreiten enthalten.

Zusammenfassend ergibt sich infolge dieser Gesetzesänderung für die EU-weite Deponierung ein Regelungssystem bestehend aus zwei Rechtsakten: der IED einerseits im Hinblick auf die technischen Anforderungen an Deponien und der Deponierichtlinie andererseits im Hinblick auf alle weiteren in Zusammenhang mit der Deponierung von Abfällen einzuhaltenden Vorschriften.

Abschaffung der Emissionsbandbreiten
Die vorläufige Einigung von Europäischen Parlament und Rat sieht eine Änderung des Kommissionsvorschlages hinsichtlich der künftigen verpflichtenden Einhaltung niedrigster möglicher Emissionsgrenzwerte vor (Art. 15 Abs. 3 IED neu). Nach dem aktuell geltenden Recht müssen sich die Emissionen von Industrieanlagen innerhalb festgelegter Emissionsbandbreiten befinden, was dem sogenannten „integrierten Ansatz“ entspricht, welchem die IED zugrunde liegt. Hiernach werden die verschiedenen verfügbaren Techniken zusammengetragen und deren unterschiedliche Emissionen betrachtet. Aus deren Mitte werden dann die Emissionsbandbreiten in den BVT-Schlussfolgerungen festgeschrieben. Die BVT im Sinne der IED umfassen diejenigen Techniken, die sowohl die beste Basis für Emissionswerte bilden als auch hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit wirtschaftlich verfügbar und in der Umsetzung verhältnismäßig sind.

Der Kommissionsvorschlag sah vor, die Emissionsbandbreiten abzuschaffen und den jeweils niedrigsten Emissionswert zur verpflichtenden Maßgabe für Anlagen vorzuschreiben. Die vorgeschlagene Neuregelung wurde nun in ihrem Wortlaut abgeschwächt und die Geltung neuer Emissionsgrenzwerte wurde zeitlich nach hinten verschoben. Zunächst soll die zuständige Behörde neue Emissionsgrenzwerte am untersten Ende der Bandbreite nur dann bestimmen können, wenn zuvor neue BVT-Schlussfolgerungen veröffentlicht wurden. Soweit aufbauend auf diesen BVT-Schlussfolgerungen bestehende Anlagengenehmigungen überprüft werden, legt die zuständige nationale Behörde gleichzeitig die strengsten erreichbaren Emissionsgrenzwerte für die betreffende Anlage fest. Hierbei hat die Behörde die bestmögliche Gesamtleistung der betreffenden Anlage unter normalen Betriebsbedingungen unter Berücksichtigung der gesamten Emissionsbandbreiten zu beachten, was eine Änderung im Vergleich zum Kommissionsvorschlag darstellt.

Keine verpflichtende Veröffentlichung von Anlagengenehmigungen
Die Verhandlungsführer von Rat, Parlament und Europäischer Kommission haben sich gegen eine verpflichtende Veröffentlichung umfassender Zusammenfassungen von Anlagengenehmigungen entschieden, welche im Kommissionsvorschlag vorgesehen war. Der Rat hatte sich in seiner Allgemeinen Ausrichtung, wie von BDE und BDI gefordert, für die vollständige Löschung dieser Vorschrift (Art. 5 Abs. 4) eingesetzt. Somit konnte sich der Rat letztlich mit seiner Position durchsetzen.

Verpflichtende Einführung von Umweltmanagementsystemen
Sämtliche Industrieanlagen werden künftig verpflichtend ein Umweltmanagementsystem einführen müssen (Art. 14a neu). Das Umweltmanagementsystem soll umweltpolitische Ziele für die fortlaufende Verbesserung der Umweltleistung und der Anlagensicherheit beinhalten. Diese Ziele umfassen etwa Maßnahmen zur Optimierung der Nutzung von Ressourcen und der Wasserwiederverwendung sowie Maßnahmen, um die Verwendung gefährlicher Stoffe zu vermeiden oder zu mindern. Auch wird verpflichtender Teil der Umweltmanagementsysteme die Einführung eines ebenfalls neuen Transformationsplanes sein. Der Transformationsplan soll Informationen zum Beitrag der jeweiligen Anlage für den Aufbau einer nachhaltigen, sauberen, kreislauforientierten, ressourceneffizienten und klimaneutralen Wirtschaft bis 2050 enthalten.

Bewertung
Der BDE kritisiert ausdrücklich die mit der Revision der IED vollzogene Änderung der Deponierichtlinie. Die größte Quelle von Methanemissionen im Abfallsektor ist die Deponierung fester Siedlungsabfälle mit einem Anteil von 80%1. Methan ist der zweitgrößte Verursacher der globalen Erwärmung und ein Treibhausgas, das 28 Mal stärker wirkt als Kohlendioxid2. Allein diese Zahlen verdeutlichen, weshalb die Deponierung unbehandelter Siedlungsabfälle innerhalb der EU spätestens bis 2030 verboten werden muss. Indem jedoch die technischen Anforderungen an die Deponierung zukünftig in der Industrieemissionsrichtlinie geregelt werden, wird nicht nur ein zentraler Regelungsbereich aus der Deponierichtlinie herausgegliedert, was eine unsystematische Doppelregulierung in Industrieemissionsrichtlinie und Deponierichtlinie zur Folge hat. Viel mehr noch wird durch die Bestimmung neuer technischer Anforderungen an Deponien für unbehandelte Siedlungsabfälle als beste verfügbare Techniken das falsche Signal gesendet, dass die Deponierung eine gute Art der Abfallbehandlung darstelle.

Hiervon abgesehen ist der Inhalt der vorläufigen Einigung jedoch insgesamt als eine Verbesserung im Vergleich zum Kommissionsvorschlag zu bewerten. Was die Abschaffung der Emissionsbandbreiten angeht, ist begrüßenswert, dass die zuständige Behörde neue Emissionsgrenzwerte am untersten Ende der Bandbreite zumindest nur dann bestimmen kann, wenn zuvor neue BVT-Schlussfolgerungen veröffentlicht wurden. Erfreulich ist auch, dass die Behörde bei der Bestimmung der untersten Emissionsgrenzwerte die bestmögliche Gesamtleistung der betreffenden Anlage unter normalen Betriebsbedingungen unter Berücksichtigung der gesamten Bandbreite der BVT-assoziierten Emissionswerte zu beachten hat, was so ebenfalls im Kommissionsvorschlag nicht enthalten war. Gleichzeitig ist jedoch zu betonen, dass eine vollständige Löschung des vorgeschlagenen Art. 15 Abs. 3 und eine Beibehaltung des aktuellen Systems klar vorzugswürdig gewesen wären, um den integrierten Ansatz, welcher der IED zugrunde liegt, umzusetzen.

Positiv ist die Streichung der von der Kommission in Art. 5 Abs. 4 vorgesehenen Veröffentlichung einer umfassenden Zusammenfassung erteilter Anlagengenehmigungen. Erfreulicherweise haben die Verhandlungsführer von Rat, Parlament und Europäischer Kommission erkannt, dass eine solche Veröffentlichung mit dem Schutz sensibler Daten der betroffenen Unternehmen sowie der Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs nicht vereinbar ist.

Zu kritisieren sind demgegenüber die Neuregelungen zu den verpflichtend einzuführenden Umweltmanagementsystemen und den Transformationsplänen. Ziel der Überarbeitung der Industrieemissionsrichtlinie war es auch, Verfahren zu beschleunigen und zu entbürokratisieren. Die Regeln zu Umweltmanagementsystemen haben jedoch das Gegenteil zur Folge: anstatt Verfahren zu erleichtern, werden diese erschwert, indem neue Nachweise gefordert werden. Die Unternehmen haben bereits zahlreiche Nachweise nach anerkannten Umweltmanagementsystemnormen – wie zum Beispiel ISO 140001 – zu erbringen. Doppelte Berichtspflichten zu denselben Inhalten müssen zwingend vermieden werden. Bereits aufgrund anderweitiger Zertifizierungsnormen erbrachte Nachweise müssen im Rahmen der neu einzuführenden Umweltmanagemensysteme anerkannt werden. Hierauf ist im Rahmen der Umsetzung der überarbeiteten Richtlinie in nationales Recht in besonderem Maße zu achten.
 

1European Environment Agency, Methane emissions in the EU: the key to immediate action on climate change, methane in the waste sector in the EU.
2Massachusetts Institute of Technology News Office, Reducing methane emissions at landfills, 2 February 2022.

 

Zeitplan
Nunmehr müssen noch das Plenum des Europäischen Parlaments sowie der Rat der EU die vorläufige Einigung über die Revision der Industrieemissionsrichtlinie formell bestätigen.
• Plenarabstimmung voraussichtlich zwischen dem 11.-13. März 2024
Sodann soll auch der Rat zeitnah abstimmen, wobei hierfür noch kein Termin feststeht. Die überarbeitete Richtlinie wird anschließend 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten. Mit ihrem Inkrafttreten wird den EU-Mitgliedstaaten schließlich ein Zeitraum von maximal 22 Monaten gewährt, um die überarbeitete Richtlinie in ihr nationales Recht umzusetzen.

 

Download BDE/VOEB Europaspiegel Februar 2024

Michael Iordache

Legal Advisor, Europareferent - Wettbewerb, Binnenmarkt, Steuern und Abfallverbringung