Kommunalabwasserrichtlinie

Vorläufige Einigung bei der Kommunalabwasserrichtlinie

Am 29. Januar 2024 haben die europäischen Institutionen die Trilogverhandlungen für die Kommunalabwasserrichtlinie abgeschlossen und eine vorläufige politische Einigung erzielt.

 

Hintergrund
Als Teil des Zero Pollution Package (Null-Schadstoff-Paket) legte die Europäische Kommission im Oktober 2022 einen Vorschlag für eine Revision der Kommunalabwasserrichtlinie vor. Mit dem neuen Vorschlag soll die alte Richtlinie zur Behandlung von kommunalem Abwasser von 1991 überarbeitet werden. Dabei soll sie die verbleibenden Verschmutzungen, d.h. vorwiegend Mikroschadstoffe, aus städtischen Quellen verbessern und sich den Zielen des Green Deals anpassen (siehe Europaspiegel Juni 2023).

Nachdem das Europäische Parlament und der Rat der Mitgliedstaaten sich im Oktober 2023 auf ihre jeweiligen Positionen festgelegt hatten (siehe Europaspiegel Oktober 2023), begannen kurz darauf die Trilogverhandlungen. Ende Januar erzielten die Unterhändler dann die vorläufige Einigung, dessen Text  inzwischen verfügbar ist.

Trotz der erzielten Einigung hatte die belgische Ratspräsidentschaft laut Medienberichten Probleme die formelle Bestätigung des Richtlinientextes im Rat zu bekommen. Daher wird voraussichtlich am 1. März 2024 eine neue Sitzung auf Ebene des Ausschusses der Ständigen Vertreter (AStV) stattfinden, auf der die EU-Botschafter die vorläufige Vereinbarung erörtern und bestätigen sollen.


Wesentlicher Inhalt
Die Überarbeitung der Richtlinie verfolgt das Ziel, den Fokus von reinem Umweltschutz auf weitere wichtige Aspekte, wie den Schutz der menschlichen Gesundheit, die Reduzierung von Treibhausgasen und die Verbesserung der Energiebilanz, zu erweitern. Zu diesem Zweck haben sich die Institutionen auf umfassende Änderungen verständigt, die unter anderem eine zusätzliche Reinigungsstufe, eine erweiterte Herstellerverantwortung und die Klimaneutralität von Kläranlagen umfassen.

Abwassersammelsysteme und Bewirtschaftungspläne
Die Mitgesetzgeber einigten sich darauf, dass die Verpflichtung zur Einrichtung von kommunalen Abwassersammelsystemen auf alle Gemeinden mit 1 000 EW (der Einwohnerwert (EW) gibt die Anzahl der Einwohner an, die im Einzugsgebiet einer Kläranlage leben; es ist der in der Wasserwirtschaft gebräuchliche Vergleichswert für die in Abwässern enthaltenen Schmutzfrachten, mit dem sich die Belastung einer Kläranlage abschätzen lässt) oder mehr ausgedehnt werden sollte. Sie verschoben auch die Frist für die Erfüllung dieser Verpflichtung von 2030 auf 2035, um genügend Zeit für die Anpassung an die neuen Anforderungen zu haben. Zudem führten sie eine Reihe von Ausnahmeregelungen ein, unter anderem für kleinere Gemeinden, die in Küstengewässer einleiten, für Einleitungen in weniger empfindliche Gebiete und für die neueren Mitgliedstaaten (Rumänien, Bulgarien, Kroatien).

Außerdem können die Mitgliedstaaten, wenn die Einrichtung eines Sammelsystems nicht gerechtfertigt, durchführbar oder kosteneffizient ist, individuelle Systeme zur Sammlung und Behandlung von kommunalem Abwasser einsetzen.

Der Text sieht vor, dass die Mitgliedstaaten bis 2033 einen integrierten Plan für die Bewirtschaftung von kommunalem Abwasser für Gemeinden mit mehr als 100 000 EW und bis 2039 für gefährdete Gemeinden zwischen 10 000 und 100 000 EW aufstellen. Diese integrierten Bewirtschaftungspläne werden im Einklang mit der Wasserrahmenrichtlinie mindestens alle sechs Jahre überprüft.

Behandlung von Abwässern
Der Rat und das Parlament haben die Verpflichtung zur Zweitbehandlung (d.h. zur Entfernung biologisch abbaubarer organischer Stoffe) von kommunalem Abwasser vor dessen Einleitung in die Umwelt bis 2035 auf alle Gemeinden mit 1 000 EW oder mehr ausgedehnt. Ausnahmeregelungen gelten für kleinere Gemeinden und für neuere Mitgliedstaaten und daher in jüngerer Zeit bereits erhebliche Investitionen zur Umsetzung der geltenden Richtlinie tätigen mussten (Rumänien, Bulgarien und Kroatien).

Zudem haben Parlament und Rat die Schwellenwerte und Fristen für die Drittbehandlung (d.h. die Entfernung von Stickstoff und Phosphor) und die Viertbehandlung (d.h. die Entfernung eines breiten Spektrums von Mikroverunreinigungen) angeglichen. Die Mitgliedstaaten müssen bis 2039 bzw. 2045 die Anwendung der Dritt- und Viertbehandlung in größeren Anlagen mit 150 000 EW und mehr sicherstellen. Für die Drittbehandlung wurden Zwischenziele für die Jahre 2033 und 2036 und für die Viertbehandlung für die Jahre 2033 und 2039 festgelegt. Die Verpflichtung zur Dritt- und Viertbehandlung wird bis 2045 auch auf kleinere Gemeinden mit 10 000 EW und mehr ausgedehnt, die in Gebiete einleiten, die bestimmte risikobasierte Kriterien erfüllen. Eine Ausnahmeregelung von der Verpflichtung zur Drittbehandlung soll gelten, wenn gereinigtes kommunales Abwasser für die landwirtschaftliche Bewässerung wiederverwendet wird, sofern keine Risiken für die Umwelt und die Gesundheit bestehen.

Erweiterte Herstellerverantwortung
Die Hersteller von Arzneimitteln und Kosmetika, die zu einer Verschmutzung des kommunalen Abwassers durch Mikroverunreinigungen führen, müssen über ein System der erweiterten Herstellerverantwortung (Extended Producer Responsibility – EPR) zur Deckung der zusätzlichen Kosten für die vierte Reinigungsstufe und im Einklang mit dem Verursacherprinzip mindestens 80% der Kosten für diese zusätzliche Behandlung übernehmen.

Hinsichtlich der Aufteilung der verbleibenden Kosten in Höhe von 20% haben Parlament und Rat sich darauf geeinigt, den Mitgliedstaaten eine gewisse Flexibilität zu lassen. Allerdings müssen die Hersteller ebenfalls die Kosten für die Erhebung und Überprüfung von Daten über in Verkehr gebrachte Produkte tragen. Die Kommission wird beauftragt, die möglichen Auswirkungen dieser Bestimmung auf die Zugänglichkeit und Erschwinglichkeit von Arzneimitteln zu bewerten.

Energieneutralität und erneuerbare Energien
Parlament und Rat haben als Ziel für die Energieneutralität kommunaler Kläranlagen, d.h. die Versorgung mit Energie aus erneuerbaren Quellen, das Jahr 2045 festgelegt, mit progressiven Zwischenzielen. Im Hinblick auf die vollständige Versorgung mit Energie aus erneuerbaren Quellen bis 2045 kann die Energie vor Ort oder außerhalb der Kläranlage erzeugt werden, wobei bis zu 35% aus externen Quellen bezogen werden können.

Bewertung
Der BDE begrüßt grundsätzlich die Revision der Kommunalabwasserrichtlinie und insbesondere die Einführung der 4. Reinigungsstufe und der erweiterten Herstellerverantwortung.

Allerdings sieht der Verband die Beteiligung der Mitgliedstaaten an den Kosten der erweiterten Herstellerverantwortung kritisch, da dies dem Verursacherprinzip widerspricht, dessen Umsetzung eine erweiterte Herstellerverantwortung gerade dienen soll. Durch die Beteiligung der öffentlichen Hand an den Kosten der 4. Reinigungsstufe zu 20% wird die Allgemeinheit für die Kosten herangezogen, die eigentlich von den Verursachern der Verunreinigungen, die eine 4. Reinigungsstufe erforderlich machen – nämlich insbesondere den Herstellern von Arzneiprodukten und Chemikalien – zu tragen wären.

Begrüßenswert ist aus Sicht des BDE, dass die zu ambitionierten Ziele des Kommissionsvorschlages in Bezug auf die (Eigen-)Versorgung der Kläranlagen mit Energie aus erneuerbaren Quellen vom Rat und vom Parlament abgeschwächt wurden. Das gilt sowohl für den zeitlichen Rahmen – der Kommissionsvorschlag sah das Erreichen der Energieneutralität bis 2040 vor – als auch für die Möglichkeit, zu einem gewissen Anteil auf erneuerbare Energie aus externen Quellen zurückgreifen zu können. Insbesondere kleinere Abwasserbehandlungsanlagen wären aufgrund zu geringer Kapazitäten und fehlender Infrastruktur gar nicht in der Lage, ihren Energiebedarf vollständig aus eigener Kraft zu decken.

 

Zeitplan
Die vorläufige Einigung muss noch von den Vertretern der Mitgliedstaaten im Rat (AStV) und dem Umweltausschuss des Parlaments gebilligt werden. Anschließend muss der Text nach Überarbeitung durch die Rechts- und Sprachsachverständigen von beiden Organen förmlich angenommen werden, bevor er im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden und in Kraft treten kann.
•  Abstimmung im Umweltausschuss: voraussichtlich im 1. Halbjahr 2024
•  Abstimmung im Plenum des Europäischen Parlaments: voraussichtlich im 1. Halbjahr 2024
•  Abstimmung im Rat: voraussichtlich im 1. Halbjahr 2024
•  Finaler Rechtsakt: voraussichtlich im 1. Halbjahr 2024

 

Download BDE/VOEB Europaspiegel Februar 2024

Michael Iordache

Legal Advisor, Europareferent - Wettbewerb, Binnenmarkt, Steuern und Abfallverbringung